Credit: Samantha Schüller

26.01.2024

Durch das viele Arbeiten am Stuhl geht unternehmerisches Denken verloren

Samantha Schüller führt Salon und Akademie in Düsseldorf. Sie zahlt ihre Mitarbeitenden nicht nur sehr gut, sondern für diese auch in eine Lebensversicherung ein. Warum man auch schon zu Beginn der eigenen Karriere an die Rente denken sollte und was sie sich von der Politik wünscht, ließ sie uns wissen …

Samantha Schüller, Kopfsache Düsseldorf, im Gespräch mit Juliane Krammer

Du hast dir deine eigene Rentenversicherung angesehen. Welche Conclusio hast du für dich gezogen?
Samantha Schüller:
Ich bin seit über 15 Jahren in diesem Beruf und mit meiner Rente stehe ich aktuell bei 1.396 Euro.

Viele würden hier sagen: „Das klingt gar nicht so wenig. Du hast ja noch ein paar Jahre vor dir …“
SS:
Nach 10 Jahren Selbstständigkeit und der ganzen Verantwortung, die man für Mitarbeiter*innen und Arbeitsplätze trägt, steht das in keinem Verhältnis.

"Viele haben auch den Glaubenssatz: Geld ist nicht alles und der Beruf ist unsere Leidenschaft. Aber in Bezug auf die eigene Zukunft und auch die Zukunft der Mitarbeiter*innen ist das sehr kontraproduktiv."

Was können Unternehmende machen, die dieselben Gedanken haben?
SS:
Jetzt gibt es immer noch sehr viele Friseurunternehmer*innen, die große Angst davor haben, Kund*innen zu verlieren, wenn sie Preise erhöhen. Viele haben auch den Glaubenssatz: Geld ist nicht alles und der Beruf ist unsere Leidenschaft. Aber in Bezug auf die eigene Zukunft und auch die Zukunft der Mitarbeiter*innen ist das sehr kontraproduktiv.

"Es ist zwar nett, dass wir mit dem Portemonnaie der Kundschaft denken, aber wir tragen Verantwortung für unser Leben und die Mitarbeitenden."

Warum gibt es so eine Einstellung vermehrt im Friseurhandwerk?
SS:
Wir sind sehr nah am Kunden und emotional mit der Person am Stuhl vor uns verbunden. Es ist zwar nett, dass wir mit dem Portemonnaie der Kundschaft denken, aber wir tragen Verantwortung für unser Leben und die Mitarbeitenden. Wir müssen unternehmerischer denken, auch um uns finanziell abzusichern.

"Meine Leute bekommen eine Lebensversicherung obendrauf, die sie sich später auszahlen lassen können."

Als du dich selbstständig gemacht hast, welche Vorstellungen einer perfekten Rente hattest du?
SS:
Ich habe mich mit 21 Jahren selbstständig gemacht. Damals hatte ich mich mit dem Thema Rente nicht direkt auseinandergesetzt. Jetzt aber unterschreibe ich, wenn jemand sagt: „Denk früh genug an deine Rente“. Das lernt man erst mit dem Alter. Wie lange ich arbeiten will, war für mich damals noch sehr weit weg. Erst seit ich in der Geschäftsführung bin – ich arbeite nämlich gar nicht mehr am Stuhl – habe ich mehr Zeit und Kapazitäten mir wirklich Gedanken zu machen. Als Arbeitgeberin habe ich nicht nur die Möglichkeit meinem Team mehr Gehalt zu ermöglichen … Meine Leute bekommen eine Lebensversicherung obendrauf, die sie sich später auszahlen lassen können. Das ist die Verantwortung, die ich trage. Das übersehen viele Chefs.

Woran liegt es, dass solch ein finanzieller Support für Mitarbeiter nicht erfolgt?
SS:
Als Arbeitnehmer*in ist es oft schwer, einen Chef bzw. eine Chefin zu finden, die so etwas ermöglicht, weil viele selbst eher Friseur*in sind. Das ist im Grunde nicht falsch, aber das unternehmerische Denken geht, durch das viele Arbeiten am Stuhl, verloren.

Wie kann ich das Ruder für meinen Salon noch rumreißen, wenn ich meinen Mitarbeitenden finanziell mehr bieten will?
SS:
Das unternehmerische Dahinter ist das Wichtigste plus effizientes Arbeiten. Es geht vor allem darum, das Bewusstsein zu schaffen, dass man auch später gut Leben will. Die Problematik, die ich dahinter noch sehe: Als Friseur-Handwerker*in muss ich 18 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen. Als Selbstständige habe ich einen unglaublich hohen gesetzlichen Rentenanteil. Das sind bei mir fast 700 Euro. Das würde ich viel lieber in eine private Versicherung zahlen. Da ist im System doch auch etwas verkehrt. Wir wissen alle, dass Handwerker nicht den höchsten Lohn haben, warum muss diese Berufsgruppe länger in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen?

Unsere Branche ist vorwiegend weiblich. Bei Frauen ist Altersarmut ein großes Thema. Welche politischen Forderungen hast du?
SS: Ich stehe hinter einem bedingungslosen Grundeinkommen, weil Handwerker*innen nicht die größte Gewinnmarge haben. Egal, wie gut wir kalkulieren und egal, wie effizient wir arbeiten. Die Gewinnmarge hat irgendwann ein Ende. Das ist Fakt. Mit einem Grundeinkommen wäre der Druck raus. Es wäre schön, wenn der Mutterschutz abgesichert wäre. Wir Selbstständigen kämpfen da ums Überleben. Dafür muss es doch eine Lösung geben, denn wir schaffen Arbeitsplätze, zahlen sehr viel Steuern! Es muss ein Auffangnetz für Selbstständige und auch Mitarbeitende geben.

"Ich glaube, dass sich viel wegrationalisiert, was wir jetzt aushalten müssen. Corona war hier gar nicht das schwarze Schaf, sondern die aktuelle Inflation. Jetzt wird entschieden, wer unternehmerisch denkt und sein Unternehmen nach vorne bringen und verändern möchte."

Wie siehst du die Friseurzukunft?
SS:
Ich bin ein sehr konstruktiver Mensch. Der Zukunft des Friseurhandwerks sehe ich positiv entgegen. Ich glaube, dass sich viel wegrationalisiert, was wir jetzt aushalten müssen. Corona war hier gar nicht das schwarze Schaf, sondern die aktuelle Inflation. Jetzt wird entschieden, wer unternehmerisch denkt und sein Unternehmen nach vorne bringen und verändern möchte. Man muss flexibel sein und sich auch anpassen können. Ich glaube, dass das Handwerk sehr exklusiv sein kann. Man sieht das in den USA, dort werden gute Friseure wie Stars behandelt und für Haarschnitte wird viel mehr als in Deutschland bezahlt.

"Wir sind in der freien Wirtschaft und können uns aussuchen, an wem wir was verdienen wollen."

Viele sagen, der Haarschnitt darf nicht Luxus werden …
Ja, es ist ein Luxusgut, aber so nah wie wir, arbeitet kaum jemand in der Dienstleitung am Menschen. Man merkt immer noch, dass der Friseur den Stempel billiger Dienstleitung aufgedrückt bekommt. Als wären wir wie in der Pflege verpflichtet alle zu bedienen. Wir sind in der freien Wirtschaft und können uns aussuchen, an wem wir was verdienen wollen.

In den Zeiten des Umbruchs. Wie hat sich dein Coaching-Zugang bzw. die Bedürfnisse der Friseurunternehmenden verändert?
SS:
Man merkt, es ist ein Umschwung. Die Leute brauchen mehr Bestärkung und Austausch. Es formieren sich Communitys. Früher hat man den Friseur um die Ecke beobachtet, jetzt fragt man nach: „Wie ist es bei dir?“.

Danke Samantha, für das spannende Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

Samantha Schüller führt in Düsseldorf ihren Salon Kopfsache auf 207m² mit 8 Mitarbeiter*innen. Außerdem leitet sie die Kopfsache Akademie, wo Seminare und auch Unternehmens-Coaching stattfinden. Außerdem ist die laufend unterwegs und hält spannende Vorträge, wie im April in Salzburg ►Strong Female Leadership mit Samantha Schüller - Wella Professionals.