17.06.2022
Klara Richarzhagen: Ändert sich das duale System nicht, bilde ich nicht mehr aus
Das duale System ist gestrandet, Lehrlingsgehälter müssen nach oben. Friseurunternehmerin Klara Richarzhagen aus Kärnten sieht die Zukunft der Ausbildung in einer mehrjährigen Fachschulausbildung.
Im Interview mit Katja Ottiger
Klara, du bist seit 25 Jahren im Geschäft, auch in der Lehrlingsausbildung, und hast derzeit zwei Lehrlinge…
Klara Richarzhagen: … ja leider, und so wenige wie noch nie! Wenn sich das duale System mit der Ausbildung über die Berufsschule und den Betrieb nicht ändert, werde ich die Ausbildung in meinem Salon auch auslaufen lassen. Ich habe in meiner Karriere mehr als 50 Lehrlinge ausgebildet, zumeist hatten wir 3 oder 4, manchmal sogar 5 Lehrlinge. Aber jetzt mag ich nicht mehr.
Warum?
KR: Man muss erkennen, dass wir mit damit gestrandet sind wie ein Pottwal. Das duale System, Lehre mit Matura, „Karriere mit Schere“… Wir haben in den letzten 10 Jahren 47 Prozent an Lehrlingen verloren. Die Friseurlehre ist absolut unattraktiv.
Was denkst du, ist unattraktiv?
KR: Was wollen junge Menschen? Studieren oder eine FH besuchen! Die, die heute noch lernen, sind in der Regel die, die für die Schule zu schwach sind. Ich hatte schon lange keinen Lehrling mehr, der oder die den Beruf aus Leidenschaft lernt, sondern weil er oder sie nicht mehr in die Schule gehen möchte. Diese haben aber nicht immer das richtige Potential. Unser Beruf hat sich verändert, ist anspruchsvoller geworden, wie unsere Kund*innen. Wir benötigen Mitarbeiter*innen, die erkennen, dass es zum Haare schneiden und färben auch Hirn braucht und unternehmerisches Denken.
„Wenn sich ein Betrieb einen Lehrling mit 500 Euro nicht leisten kann, sollte man eher über eine Betriebsschließung nachdenken.“
Auch die Lehrlingsgehälter müssen nach oben, mindestens auf 500 Euro plus! Wir wollen junge, gepflegte, gut ausgebildete Mitarbeiter, aber zahlen ihnen einen Hungerlohn. Wenn sich ein Betrieb einen Lehrling mit 500 Euro im ersten Lehrjahr nicht leisten kann, sollte man eher über eine Betriebsschließung nachdenken, als über einen Lehrling.
Ausbildung neu denken – was ist dein Vorschlag?
KR: Ich denke an eine 2 bis 3 -jährige Ausbildung ohne Matura. Neben der Fachausbildung mit unternehmerischem Denken in einer Schule sollte ein regelmäßiges Praktikum gemacht werden, um Kontakt zu Betrieben zu bekommen, in denen die jungen Leute später auch wirklich einmal arbeiten möchten.
„Und um das Lohnniveau anzuheben, brauchen wir Mitarbeiter*innen mit unternehmerischem Denken.“
Also ähnlich der Ausbildung in der Modeschule Hallein?
KR: Ja. Jugendliche wollen heute mehr als Lehre, deshalb finde ich die Modeschule Hallein interessant. Wir alle wissen, die Abgänger*innen sind keine voll ausgebildeten Stylisten. Aber sind wir ehrlich: Wir stellen uns trotzdem an, um deren Absolvent*innen zu rekrutieren. Denn sie lernen in einer Fachschule den Beruf plus Unternehmerwissen mit gleicher Ausbildungsmöglichkeit für alle und nicht in unterschiedlichen Salons mit mehr oder weniger guten Ausbildern. Wir alle wollen gute Preise machen können und anspruchsvolle, gut zahlende Kunden. Und um das Lohnniveau anzuheben, brauchen wir Mitarbeiter*innen mit unternehmerischem Denken. Das lernt man nicht in der Berufsschule.
„Wer sich bei mir mit Kollektivvertrag zufriedengibt, den will ich nicht.“
Nehmen wir ein Beispiel: Hotelfachschule Villach! Die Gastro reißt sich um diese Absolvent*innen, weil sie wissen, dass sie nicht nur das Handwerk erlernen, sondern auch Unternehmerdenken. Solche Mitarbeiter*innen sind ehrgeiziger, sie möchten nicht nach Kollektiv arbeiten. Wer sich bei mir mit Kollektivvertrag zufrieden gibt, den will ich nicht. Ich will die, die mehr verdienen wollen, denn die sind bereit, mehr zu leisten.
Das alles geht mit dem dualen System nicht?
KR: Wie viele bilden denn noch aus? 22 Prozent? Ein Großteil der Unternehmen sind Kleinunternehmer, mit ein, zwei Mitarbeitern oder mobil. Und wie viel Vermittlung von Wissen passiert in einer Woche im Betrieb? Zwei Stunden? Die restliche Zeit verbringt der Lehrling mit Standards: zusammenkehren, Haare waschen, eventuell Ansatzfarbe, Handtücher, Kaffee. Ich selbst habe Haare schneiden noch am Kunden gelernt. Aber heut ist das anders, die Preise und Ansprüche steigen. In der Zeit, in der ich im Geschäft stehe, schaffe ich es nicht mehr, auszubilden. Abends und am Wochenende darf ich nicht. Ich kann aber Lehrlinge erst an Kund*innen lassen, wenn sie gut genug sind.
Ihr setzt bei eurer Ausbildung auf den „Lehrlingsdienstag“…
KR: Stimmt, aber das ist völlig personenabhängig von meinem Mann (Ernst Gradisar, Anm.), ohne ihn ist das nicht möglich. Jeden Dienstag bekommen die Lehrlinge ein 8-stündiges, auf sie ausgelegtes Training in Theorie und Praxis, bekommen Hausaufgaben und Aufträge, die sie zu erledigen haben. Aber selbst das ist zu wenig. Ändert sich nichts im System, steigen wir auf Hilfskräfte um, die wir uns selbst nach ihren Stärken ausbilden.
„Besser Stärken fördern, als in Schwächen investieren.“
Setzt ihr auf Spezialisierungen im Salon?
KR: Ja, auf Haarschnitt oder Coloration. Unsere Mitarbeiter*innen können zusätzlich wählen, ob sie im Herren- und Barberbereich arbeiten möchten. Man muss heute kein Allrounder mehr sein. Es ist besser, Stärken zu fördern, als in Schwächen zu investieren. Corona hat uns Friseuren geholfen, den Menschen unsere Wertigkeit bewusster zu machen, nur leider machen wir Friseur*innen zu wenig daraus. Wir setzen bei uns im Salon auf die 4 Tage Woche mit Überbezahlung, auch für die Lehrlinge. Wir arbeiten zu 100 Prozent auf Anmeldung, mit digitaler Zeiterfassung und wir haben jeden Tag alle Mitarbeiter*innen im Geschäft. Wir leben unsere Work-Life-Balance: Mit wenig Aufwand viel Arbeiten und danach Freizeit genießen.
Über Klara Richarzhagen:
- Salonunternehmerin seit 1997, Salon in Klagenfurt, gemeinsam mit Ernst Gradisar
- 7 Mitarbeiter / davon 2 Lehrlinge
- https://haarisma.at/
Arbeiten bei haarisma
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