31.03.2017

Martin Klinka - Hände zam und mach etwas!

Weg vom Image „Schule ist lästig“, auch Lehrer wollen und können verändern...

Das Interview führt Katja Ottiger

ImSalon: Vielen bist du bekannt als der, der Classroom 20.20 initiiert hat, Extraklassen für Extraschüler mit Extrabetreuung. Ganz kurz: Wie, weshalb, warum wurde die Idee geboren?
Martin Klinka :
 Die Problematik am Arbeitsplatz - Salons suchen geeignete Mitarbeiter und finden keine. Die Fachindustrie tut sich schwer, Friseure für Seminare zu begeistern, um Produkte langfristig in den Markt zu bringen. Es wird immer schwieriger Jugendliche auszubilden, ohne sich strafbar zu machen, die Rahmenbedingungen sind katastrophal. 
Dazu die negativ behaftete Bezeichnung „Lehre“ … Da gibt es nur noch eines: Hände zam und mach etwas! 
Wir brauchen fachliche Ausbildung, Jugend, die man bewegen kann und die sich interessiert. Dieses Projekt ist eine Win win Situation für alle. Für Unternehmer, deren Lehrlinge in der Schulzeit zusätzlich ausgebildet werden; für Schüler, die mehr lernen; für die Fachindustrie, die für ihre Marken begeistern und der negativ behaftete Bereich Schule fungiert als aktive Schaltzentrale.

Das Projekt beinhaltet einzelne, von der Industrie unterstützte Klassen, die auch das Know-how ihrer Fachtrainer zur Verfügung stellen. 
MK: Ja, wir haben jeweils eine Wella, L’Oréal, Matrix, Schwarzkopf, Culumnatura, Haarmonie, Goldwell und Paul Mitchell – Klasse mit jeweils 20 Schülern. 
 

Ist das nicht ein bisschen so, als würden Fachtrainer die Arbeit der Lehrer machen?
MK: Kollegen, die in diesem Projekt drin sind und das unterstützen, sehen sehr wohl die Vorteile. Jedes Jahr ändern sich Kleinigkeiten, die bekomme ich mit, wenn ich in den Klassen drinsitze, die von Industrie-Trainern abgehalten werden. 
Andere Kollegen mögen das nicht so sehen. Fakt ist, du wirst als vollwertig empfunden, wenn du Dinge weißt, die die Jugend bewegt. Als Lehrer, als Friseur musst du greifbar sein und leben, was du vermittelst, und nicht einfach nur sagen, ich war mal Friseur oder ich war mal selbstständig. 

Macht Classroom 20.20. „Schule“, ziehen andere nach?
MK: Erfolgreich ist Birgit Mosser, die das ja schon seit Jahren sehr erfolgreich in Kärnten macht und Wels 2 zeigt Interesse nachzuziehen. Aber auch in anderen Berufsschulen gilt das gleiche KollegInnen, Direktionen und Inspektionen zu überzeugen .... und das dauert eben seine Zeit. manchmal zu lange für KollegInnen. Ich bin froh, unsere Direktorin für dieses Projekt gewonnen zu haben.

Musstest du deine Direktorin überzeugen?
MK: Sicher. Sie ist keine Friseurin. Und dann kommt ein verrückter Friseur, mit seiner Idee und lässt einfach nicht locker. 

"Aber nur, weil du MUSST, heißt das ja nicht, dass MÜSSEN nicht auch Spaß machen kann."

Wer stand an deiner Seite? Andrea Brenner (Lebensgefährtin und Berufsschullehrerin, Anm. der Redaktion), nehme ich an? 
MK: Ja, natürlich und dafür bin ich sehr dankbar. Anfangs sitzt du zusammen und redest und bemerkst irgendwann, dass gerade auch die Industrie dankbar dafür ist, dass jemand diese Gedanken aufgreift. Und plötzlich wird das ein Selbstläufer, bei dem viele dachten, dass das nichts werden kann, weil das Ganze natürlich sehr großspurig gedacht war. Du entwickelst Ideen, die du anfangs ja gar nicht gehabt hättest, du wolltest ja nur fachlich unterstützen. Aber Schule bekommt eine andere Wertigkeit. Unternehmer, sofern sie sich dafür interessieren, merken sehr wohl, dass sie den Lehrling nicht nur los sind und der in der Schule sitzt, sondern auch, dass der mehr mitbekommt. 
Wer den Beruf lernt, muss in die Berufsschule, das ist nun mal so. Aber nur, weil du MUSST, heißt das ja nicht, dass MÜSSEN nicht auch Spaß machen kann. Wir wollen weg vom Image „Schule ist lästig“. Wir wollen vermitteln, dass es Trends und Veränderungen gibt und die wir tatsächlich auch verstehen, leben, fördern und dass uns der Beruf Spaß macht, wir gerne lehren, greifbar sind und Entwicklung tragen wollen und dass wir nicht nur in der Basis der 80er schweben. 

Ihr müsst euch aber schon gefallen lassen, dass einige Berufsschullehrer nicht unbedingt für Beauty stehen. 
MK: Hmm. (lächelt und legt den Kopf schief.)

Waren und sind dir deine Kollegen bezugnehmend auf das Projekt gut gewogen?
MK: (Verschmitzt:) Nächste Frage. 

Ok :) Es wird ja kritisiert, dass Lehrer sich selbst zu wenig bis gar nicht weiterbilden. Gibt es verpflichtende Fortbildungszeiten für Lehrer?
MK: Jein. Im Endeffekt liegt es an jedem selbst. Die Wahrheit ist, dass der Stadtschulrat keinerlei Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Lehrer als Friseur bietet. Also, wenn wir Fachfortbildung machen wollen, dann müssen wir uns privat weiterbilden, in der Industrie beispielsweise… 

Firmen bieten solche Möglichkeiten gratis an, soweit ich weiß.
MK: Ich denke, es müsste die Möglichkeit geben, wie auch immer dies dann in der Zusammenarbeit aussehen könnte, Trendseminare über die Hochschule zu geben, wo ja die Lehrer ihre Fortbildungsmaßnahmen treffen und auch buchen. 

Wie viel Mehrarbeit bringt dein Engagement mit sich?
MK: Puh. Ich will mich jetzt nicht wichtig nehmen, aber die ist enorm.
Ein Beispiel: Wenn ich mir überlege, ich lade einen Politiker ein, dann muss ich mir ein Konzept überlegen, warum ich das tu. Dann gibt es einen immensen Emailverkehr, bis einmal ein Termin steht. Dann musst du ein Programm zusammenstellen, dieses bei Stadtschulrat und Direktion argumentieren. Dann findet es statt, dann gibt es die Nachbearbeitung ...

Wie lang ist dein Arbeitstag, du unterrichtest ja abends auch noch im WIFI?
MK: (flüstert vorsichtig) Von 8-23 Uhr. 

Trauriges, immer wiederkehrendes Thema: Berufsabbrüche. Was sind in deinen Augen die Gründe?
MK: Aspekt 1: Sie wollten es gar nicht machen, es wurde ihnen sozusagen aufgedrängt, untergejubelt.
Aspekt 2: Sie haben es sich anders vorgestellt. 
Aspekt 3, und sicherlich der schwierigste: schlechte bis keine Recherche. Was brauche ich und welcher Salon passt zu mir?

Bundeskanzler Kern war in der Schule zu Besuch. Ein erfolgreicher Tag?
MK: Für die Jugendlichen ja. Für den Beruf denke ich auch, denn das ist nicht selbstverständlich, dass ein Bundeskanzler in eine Berufsschule für Friseure kommt, das war auch noch nie.
Aber das politische Statement, der Gesetzesentwurf, den er in der Schule präsentiert hat, war im Nachhinein natürlich der bittere Beigeschmack. (► Bundeskanzler Kern in der Schule - wir waren dabei)

60 Stunden Mehrzeit in der der Schule, verteilt auf 3 Jahre. Welche Auswirkungen hat das?
MK: Die Schulen müssen untereinander abklären, was passiert mit diesen 60 Stunden mehr? Die Überlegungen gehen dahin zu fragen, wo du den Unternehmer am besten unterstützen kannst, vielleicht in Richtung Werkstätte und Fachkunde?

Gibt es eigentlich konspirative Sitzungen der BS/Lehrer mit Ausbildnern? 
MK: Zweimal haben wir eingeladen, zweimal sind wir in einem leeren Raum gesessen. Der Grundgedanke war ja, eine IST Situation zu schaffen, wo stehen wir, wo wollen wir gemeinsam hin? Was sind unsere gegenseitigen Wünsche?

"Wünsche mir mehr Interesse an den Jugendlichen."

Was wünschst du dir denn von den Unternehmern?
MK: Mehr Interesse an den Jugendlichen - das gilt natürlich nicht für alle! - und dass sie auch in schwierigen Zeiten, die wir jetzt haben, besser ausbilden. Wir haben Defizite im 3. Lehrjahr, in der Werkstätte, sie haben jetzt Modellbetrieb mit selbständigem Arbeiten, sie sind überfordert. Hier gibt es enormen Handlungsbedarf.

Duales System und Lehre mit Matura. Wie siehst du das?
MK: Das duale System ist für mich das einzig erfolgreiche System – aber im Gleichklang mit Schule und Betrieben. Es gibt immer eine Hol- und Bringschuld und die haben beide zu erfüllen. Ich glaube, dass Betriebe, die ständig auf die Berufsschulen hinknallen, der Schule mal die Möglichkeit geben sollten, gemeinsame Wege und Lösungen zu finden.
Lehre mit Matura? Die haben wir. Hier. Das weiß nur kaum jemand. Berufsbegleitende Matura in der Freizeit, so dass man Schule und Matura gemeinsam abschließen kann. Die Modeschule Hallein beispielsweise macht das geschickt, die heben das ständig hervor!

Die Pläne für Classroom 20.20? 
MK: Dass die Sinnhaftigkeit vonseiten der Industrie und vonseiten der Jugendlichen weiterhin erkannt wird, dass mehr Chefs Interesse daran zeigen und die Vorteile dieser Art der Motivation und den Mehrwert erkennen. Z.B.,den, dass die acht besten Lehrlinge des Lehrjahres nach Linz (Leufen Friseurtraining), München (Munich Hair Academy) oder Stuttgart (J.7) geschickt und dürfen dort ein besonderes Praktikum machen, sie führen Tagebuch, machen Fotos, bereiten das für Social Media auf, lernen wirklich eine ganze Menge mehr. 

Abschließend: Classroom 20.20. ist im vierten Jahr. Was hat sich persönlich für dich geändert?
MK: Der Druck, dass das Projekt erfolgreich bleibt. Einige erwarten den Einbruch.
Dass die Anforderung an mich selbst erfüllt werden: Dass die Partnerschaften mit der Industrie Bestand haben und dass die Jugend diese Motivation weiterträgt in die Salons und in den Schulen streuen. 
Denn solange es in Grundschulen immer wieder um Schülerzahlen geht und Lehrer, Eltern und Direktoren darüber entschieden, welchen Werdegang der Jugendliche weiterhin gehen darf und nicht ihm selbst eine realistische Entscheidung zutrauen, wird es schwierig.
Aber irgendwann treffen wir uns wieder beim Friseur, wenn der Schüler Friseur geworden ist und genau diejenigen auf seinem Sessel landen, die ihn für nicht vertrauenswürdig gefunden haben, eine eigene Schulwahl zu treffen. Dann müssen diese Leute ihm vertrauen, so wie sie all denen vertrauen müssen, die nur die Lehre gemacht haben: den Mechanikern, Bäckern und Installateuren, Elektrikern. Das sind genau die, denen wir vertrauen müssen. Mein Dank an alle Unterstützer- und FörderInnen, die immer wieder mit tollen Ideen unserer Schule voran bringen!

Fakten zu Martin Klinka

  • Geboren und aufgewachsen in Wien
  • Seit 1986 Friseur
  • Seit 1998 Lehrer mit zwischenzeitlicher Selbstständigkeit
  • Matrix Trainer, Initiator Matrix Education in Österreich
  • Vortragender am Wifi
  • Berufsschullehrer Goldschlagstraße Wien
  • Initiator Projekt Classroom 20.20. | 8 Klassen, 160 Schüler