Prof. Dr. med. Swen Malte John | Credit: Uwe Lewandowski

09.09.2021

Prof. Dr. med. Swen Malte John: Arbeitsstoffe in Friseurkosmetik müssen neu bewertet werden

Prof. Dr. med. Swen Malte John leitet die Studie zur Neubewertung von gefährlichen Arbeitsstoffen in Friseurkosmetik, wir sprachen mit ihm über Hintergründe, Zielsetzung und mögliche Konsequenzen…

Prof. Dr. med. Swen Malte John, Universität Osnabrück, Abteilung Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie und Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation

 im Gespräch mit Raphaela Kirschnick

Derzeit ist die europäische Kosmetikverordnung auf den Schutz der Verbraucher ausgerichtet und enthält nur wenige Bestimmungen für professionelle Anwender. Die Universität Osnabrück startet nun ein von den europäischen Sozialpartnern des Friseurhandwerks in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt zur Neubewertung von gefährlichen Arbeitsstoffen in Friseurkosmetik. -> zum Beitrag

Herr Professor John, was ist das Ziel der Studie?
Prof. Dr. med. Swen Malte John:
Vorrangiges Ziel ist es, den Unterschied in der Exposition zwischen einem Verbraucher und einem professionellen Anwender aufzuzeigen, damit eine Neubewertung von gefährlichen Arbeitsstoffen in Friseurkosmetik auf europäischer Ebene vorgenommen werden kann.

Wie können wir uns die Umsetzung der Studie vorstellen? Haben Sie einen Testsalon eingerichtet oder arbeiten Sie hierfür mit Friseursalons zusammen?
Prof. SMJ:
Es handelt sich um eine Reihe von systematic reviews (Anm. Red. Systematic Review ist eine wissenschaftliche Arbeit in Form einer Literaturübersicht, die alles verfügbare Wissen aus Fachliteratur sammelt, analysiert und kritisch neu bewertet), die im Rahmen des Forschungsprojektes durchgeführt werden. Beteiligte sind dabei unsere (inter-)nationalen Kooperationspartner:innen: Dr. Sanja Kezic, Coronel Institute of Occupational Health, University of Amsterdam, Amsterdam, The Netherlands; Dr. Jelena Macan, Unit for Occupational Health and Environmental Medicine, Institute for Medical Research & Occupational Health, Zagreb, Croatia; Prof. Dr. Jeanne Duus Johansen, Department of Skin and Allergy, University of Copenhagen, Copenhagen, Denmark; Prof. Dr. Wolfgang Uter, Institut für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Inwieweit ist die Haarkosmetische Industrie involviert?
Prof. SMJ:
Die haarkosmetische Industrie ist nicht involviert. Eine Förderung des Projektes erfolgt durch UNI Europa – The European Services Workers Union.

Sind alle Friseur-Dienstleistungsbereiche (Haarfarbe, Dauerwelle, Pflege, Styling) gleichermaßen inkludiert oder gibt es einen Fokus auf ausgewählte Anwendungs-/ Produktgruppen?
Prof. SMJ:
Entsprechend der zu erwartenden unerwünschten resp. gesundheitsschädlichen Wirkungen besonderer kosmetischer Mittel werden sowohl spezielle Dienstleistungsbereiche als auch die dort verwendeten Produkte fokussiert. Als Beispiel können Inhaltsstoffe genannt werden, die in Haarfarben enthalten sein können und aufgrund ihrer allergenen Wirkung als bedenklich zu betrachten sind.

Welche Arbeitsstoffe halten Sie für Friseure als potenziell gefährlich?
Prof. SMJ:  Letztlich ist das größte Problem sicher die Feuchtarbeit, überspitzt gesagt also längerer Kontakt mit Flüssigkeiten, einschließlich Wasser. Wir sind halt keine Fische und unsere Haut mag nicht permanent schwimmen. Dazu kommt dann ein großes Spektrum von Friseurchemikalien, von Oxidationshaarfarben über Bleichmittel bis hin zu Konservierung und Duftstoffen in den verschiedensten kosmetischen Haarprodukten. Wie immer bei allergischer Erkrankung ist es so, dass nur einzelne Menschen damit Probleme entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit wird allerdings höher, wenn die Haut bereits einen Vorschaden besitzt, zum Beispiel durch Feuchtarbeit (siehe oben).
 

Wie können Friseure sich aus ihrer Sicht schützen? 
Prof. SMJ: Im Rahmen einer effektiven Primärprävention von Berufsdermatosen im Friseurhandwerk generell das sogenannte Drei-Säulen-Modell anzuführen. Bei diesem Modell werden Maßnahmen des Hautschutzes, der Hautreinigung und der Hautpflege zusammengefasst, die in ihrer Gänze aufeinander abgestimmt eine Erhaltung eines guten Hautzustandes zuträglich sein sollten und bei bereits aufgetretenen Schädigungen der Haut zu einer Verbesserung dieser führen sollten. Generell ist das Tragen adäquater Schutzhandschuhe bei hautbelastenden Tätigkeiten (zum Beispiel Waschen der Haare, Farbauftrag etc.) anzuraten. Zudem ist die Verwendung geeigneter Hautmittel im Sinne von milden Reinigungsmitteln sowie entsprechenden Hautschutzcremes und Hautpflegecremes anzuraten. Als ein zentraler Punkt ist dabei zu nennen, dass die Barrierefunktion der Haut geschützt und die Regeneration dieser unterstützt werden sollte.

Wichtig ist, dass man sich frühzeitig beraten lassen sollte und dermatologische Hilfe ansteuern sollte. Alle Friseure, auch die Salonbesitzer, sind in der gesetzlichen Unfallversicherung. Hier bestehen Ansprüche, die man allerdings nur umsetzen kann, wenn die Unfallversicherung auch darüber informiert wird das ein Problem mit der Gesundheit aufgetreten ist (zum Beispiel mit der Haut). Gerade im Bereich der Haut ist die Meldung an die Unfallversicherung in einem unbürokratischen Verfahren geregelt; jeder Hautarzt oder auch Betriebsarzt kann eine entsprechende Meldung an die Unfallversicherung schreiben (sogenannte Hautarztbericht), was dann dazu führen wird, dass der/dem Betreffenden ein umfangreicher Katalog von Möglichkeiten der Versorgung angeboten wird, das geht von hautärztlicher Behandlung zulasten der Unfallversicherung (bedeutet auch keine Rezeptgebühren etc.) bis hin zu kostenlosen Hautschutzseminaren und auch einer stationären Hautkur. Für eventuelle Abwesenheit vom Arbeitsplatz werden die Kosten dem Arbeitgeber durch den Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege) in vollem Umfang erstattet; der/die Beschäftigte erhält ohnehin alle Kosten wie zum Beispiel Reisekosten etc. erstattet.
 

Warum sind gerade ständig neu aufkommende Inhaltstoffe ein Problem?
Prof. SMJ: Vielfach ist deren allergologische und toxikologische Bedeutsamkeit noch nicht bekannt; aufwändige Prüfungen wie in der Vergangenheit mit Tierversuchen sind verboten in Bezug auf Kosmetika. Entsprechend wird ein Großversuch durch Verteilung an Menschen durchgeführt bei Einführung von neuen Substanzen, wo dann die Empirie zeigt ob sie langfristig hautverträglich sind oder nicht. Das gilt natürlich für Friseure genauso wie für Verbraucher: innen; oben ausgeführt ist es aber häufig so das Friseuren sehr viel höherem Funk entsprechenden Stoffen ausgesetzt sind als Verbraucher: innen.

Inwiefern hat sich die gesundheitliche Belastung durch Risikofaktoren im Friseurhandwerk in den letzten 20 Jahren verändert?
Prof. SMJ:  Ja und tut es fortlaufend weiter; zum Teil ist es gelungen einige problematische Allergene zu eliminieren (wie zum Beispiel die saure Dauerwelle [GMT G]), dafür sind andere problematische Stoffe hinzugetreten. Die häufigsten Verursacher von Kontaktallergien im Friseurgewerbe sind derzeit Oxidationshaarfarben. Wie kürzlich von uns publiziert ist aber auch der Erwerb von Kontaktallergien durch in Friseurwerkzeugen enthaltene Nickel und Kobalt-Ionen möglich https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jdv.17058.

Ist eine Besserung der Hautkrankheiten durch das Tragen von Handschuhen bei allen Nassarbeiten zu beobachten, oder wird dies in der Studie nicht untersucht?
Prof. SMJ:  Feuchtarbeiten belasten die Haut – besonders wenn kein adäquater Schutz durch das korrekte Anwenden von Schutzhandschuhen besteht – in der Regel stark. Wasser allein wirkt dabei quellend und somit irritierend auf die Hornschicht der Haut; kommen dabei noch grenzflächenaktive Substanzen wie Detergenzien in zum Beispiel Shampoo dazu, wird die epidermale Barrierefunktion stark gestört und ein proinflammatorisches Milieu wird induziert. Dies führt dazu, dass Stoffe – wie zum Beispiel Allergene – leichter in die Haut eindringen können und dort auf dieses genannte entzündungsförderliche Milieu stoßen. Die Gefahr einer Sensibilisierung und somit der Entwicklung einer Kontaktallergie gegenüber den jeweiligen Stoffen steigt somit drastisch. Wir wissen aus wissenschaftlichen Arbeiten, dass ein hoher Anteil an Feuchtarbeit den hauptsächlich verschlimmerten Faktoren beim Handekzem zählt. Somit ist besonders bei der Prävention von Handekzemen, denen häufig eine klinisch trockene Haut (Xerosis cutis) vorangeht, darauf zu achten, den Anteil von Feuchtarbeiten gering zu halten und auf einen geeigneten Schutz der Haut – besonders an den Händen – bei der Durchführung von Feuchtarbeiten zu achten.

Wer finanziert die Studie?
Prof. SMJ: Das Projekt wird durchgeführt von der Abteilung Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie des Instituts für Gesundheitsforschung und Bildung (IGB) an der Universität Osnabrück; ferner siehe Punkt 2.

Sie sprechen von „Alternativen Methoden“, können Sie diese näher spezifizieren?
Prof. SMJ: 
Hier geht es darum, vorher abzuschätzen, ob das Inverkehrbringen einer neuen Substanz in Friseur/Kosmetikprodukten zum Beispiel ein Risiko für die Entwicklung von Kontaktallergien sein könnte. In der Vergangenheit wurden hierzu über viele Jahrzehnte etablierte Tierversuche durchgeführt; diese sind aber wie oben ausgeführt jetzt für die Untersuchung kosmetischer Mittel verboten (stattdessen wie gesagt wird jetzt am Menschen ausprobiert). Damit man abschätzen kann, wie groß das Potenzial einer neuen Substanz in Bezug auf unerwünschte Nebenwirkungen ist, werden zum Beispiel Zellkulturverfahren zurzeit entwickelt bzw. weiterentwickelt, um entsprechende prädiktive Aussagen machen zu können. Das ist mit alternativen Methoden gemeint.

Vielen Dank Herr John für Ihre umfangreichen Einblicke, wir sind gespannt auf die Studienergebnisse