Credit: Bereitgestellt von Kao Salon Division

05.01.2024

"Wir müssen über eine Veränderung der Arbeitszeitmodelle nachdenken"

Unternehmerische Flexibilität ist gefragt, weiß Stephan Bethke, denn schneller denn je müssen sich Friseurunternehmer auf die sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen in der Branche einstellen...

Stephan Bethke, ehemaliger Geschäftsführer ICONO Germany GmbH und Kao Salonexperte, im Zukunftsgespräch mit imSalon

Was braucht Friseurunternehmer, um auch in Zukunft erfolgreich sein zu können?
Stephan Bethke:
Friseurunternehmer müssen sich auf die sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen in der Branche sehr schnell einstellen und einlassen. Dinge verändern sich einfach in einem sehr viel höheren Tempo, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war.

Welche Veränderung beobachtest Du bei Kunden?
SB:
Die Erwartungen der Kunden werden durch Influencer in unerreichbare Höhen getrieben. Jeden Tag werden irgendwo neue Trends kreiert und sind sofort beim Kunden - und der erwartet, nach seinem Besuch genauso auszusehen.

Und bei Mitarbeitenden?
SB:
Mitarbeiter wollen nur noch da arbeiten, wo es hip und cool ist. Die Work-Life-Balance und der Wohlfühlfaktor müssen stimmen. Die Arbeit muss Sinn stiften, der Arbeitgeber muss nachhaltig sein und soziale Projekte unterstützen. Nach dem Motto: ich bin nicht auf dieser Welt, um nur zu arbeiten, das ist mehr Mittel zum Zweck.

Wie erarbeitet man unternehmerische Flexibilität am besten?
SB:
Wenn heute die Mitarbeiter nur noch vier Tage arbeiten wollen, muss ich über eine Veränderung der Arbeitszeitmodelle nachdenken, sonst habe ich irgendwann keine Mitarbeiter mehr. Wenn die vorhandenen Mitarbeiterkapazitäten zurückgehen, muss ich die Öffnungszeiten verändern. Wenn die Kosten und speziell die Lohnkosten steigen, muss ich die Preise erhöhen. Dienstleistungen, die sich nicht mehr rechnen, müssen aus dem Angebot gestrichen werden. Dienstleistungen, an denen ich besonders gut verdiene, müssen mehr beworben und intensiver angeboten werden. Wenn ich keine Auszubildenden mehr finde, muss ich überlegen, wie ich in anderen Bereichen arbeitsteilig arbeiten kann (z.B. über angelernte Farb-Assistenten). Dies sind nur einige Beispiele für Flexibilität und Agilität im aktuellen Salonalltag.

Ohne Empathie und Respekt wird das Mitarbeiterthema unlösbar bleiben.
SB:
Die Veränderungen der Friseurbranche gehen Hand in Hand mit Veränderungen in der Gesellschaft. Der Friseurnachwuchs hat total andere Bedürfnisse an den eigenen Arbeitsplatz als die Vorgängergenerationen. Neben einer fairen Bezahlung werden mentale Gesundheit, eine ausgewogene Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten immer wichtiger. Nur wenn wir diesen individuellen Wünschen und Bedürfnissen mit Flexibilität, Respekt und Empathie begegnen, werden wir neue Leute gewinnen und bestehende Mitarbeiter langfristig an unsere Unternehmen binden.

"Unternehmer ... mehr als die Hälfte seiner Zeit in die Einhaltung von Vorschriften und Verordnungen."

Politisch ist aktuell viel in Bewegung. Was forderst du für das Friseurhandwerk?
SB:
Von der Politik wünsche ich mir in erster Linie zwei Dinge: weniger Bürokratie und mehr Gleichbehandlung. Wer als Unternehmer seine Arbeitszeit analysiert, stellt schnell fest, dass er mehr als die Hälfte seiner Zeit in die Einhaltung von Vorschriften und Verordnungen (Berufsgenossenschaft, Arbeitssicherheit, Kassenvorschriften, Jugendarbeitsschutzgesetz, Gewerbeordnung, Pflichtmeldungen, etc.) steckt bzw. in sonstige administrative Tätigkeiten, wie die Steuererklärungen investiert. Für das Unternehmertum und die Frage, wie bringe ich den Salon und die Mitarbeitenden voran, bleibt da wenig Zeit.
Ich wünsche mir faire Rahmenbedingungen für die gesamte Branche. Wir haben weiterhin Barbershops ohne Meister, Kleinunternehmer ohne richtige Steuererklärung. Diese Unternehmen haben wenig bis keine Vorschriften, werden so gut wie nicht kontrolliert und müssen deutlich weniger Abgaben zahlen. Die Mitarbeiter beziehen Leistungen vom Staat und werden teilweise schwarz beschäftigt. Das führt zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen und Preisunterschieden. Gerade diese Preisunterschiede werden von den Kunden wahrgenommen.

Was wünschst Du Dir von der Industrie?
SB:
Von Industriepartnern würde ich mir mehr innovative Produkte, wie z.B. Pure Pigments von Goldwell wünschen. Produkte, die nur beim Friseur direkt angewendet werden und für Kunden einen echten Mehrwert darstellen. Gleichzeitig für den Friseurunternehmer einen hohen Deckungsbeitrag erwirtschaften.

" ... Umlage für Betriebe, die nicht ausbilden."

Wie beurteilt ihr die aktuelle Nachwuchssituation?
SB:
Bis zu Beginn von Corona war ICONO einer der größten Ausbildungsbetriebe in Berlin. Wir haben jährlich ca. 25 neue Auszubildende eingestellt. Wir haben sehr viel Zeit und Geld in die Ausbildung gesteckt.
Durch Corona und die verhängten Zwangsmaßnahmen sind fast alle Ausbildungsmöglichkeiten zum Erliegen gekommen. Wir konnten zu dieser Zeit keine qualitativ hochwertige Ausbildung durchführen. Und darüber hinaus hatten wir das Problem, dass wir für Auszubildende keinerlei Zuschüsse (wie Kurzarbeitergeld) erhalten haben. Aus diesem Grund haben wir auch erst einmal keine Auszubildenden mehr eingestellt. Zwischenzeitlich haben sich die Rahmenbedingungen verändert, deutlich höhere Ausbildungsvergütungen bei gleichzeitigem Wegfall von Anwesenheitstagen (2 Schultage statt 1 Schultag pro Woche).
Deswegen überarbeiten wir gerade auch unser Ausbildungssystem, um es den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Ausbildung muss allgemein schneller und effizienter werden, damit zukünftig wieder mehr Salons ausbilden. Hier würde ich mir von der Politik und den Verbänden Unterstützung wünschen. Z.B. in Form einer Umlage für Betriebe, die nicht ausbilden.  

Was ist das Icono Erfolgskonzept?
SB: Wir haben in den letzten 15 Jahre die Marke ICONO im Markt etabliert. Kunden wissen genau, was sie von uns erwarten können: Tolle Salons in attraktiven Lagen, fachlich top-ausgebildete Mitarbeiter. 
Wir haben ein tolles Team, das die Marke ICONO leidenschaftlich mit verkörpert. Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bekommen sehr gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in unserer eigenen Academy. Wir zahlen gut und zeigen Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten transparent auf.  Wenn ich eine starke Marke habe und sehr gute und motivierte Mitarbeiter an mich binden kann, ist das Resultat Erfolg!

Wie bewertest du den Digitalisierungsstatus im Friseurhandwerk?
SB:
Digitalisierung im Friseurhandwerk wird noch viel zu wenig umgesetzt. Für mich ist Digitalisierung viel mehr als eine funktionierende Internetseite und ein regelmäßig bespielter Social-Media-Kanal! Letzteres ist heute eine der Grundvoraussetzungen für einen professionellen Salonauftritt.
Ein Online-Termin-Kalender mit digitalen Terminerinnerungen per Mail, WhatsApp oder SMS spart mir als Unternehmer viel Zeit am Telefon. Darüber hinaus kommunizieren wir mit unseren Salonkund*innen sehr individuell per E-Mail, mit z.B. Glückwünschen zum Geburtstag oder neuen Angeboten. Kunden können auch ganz bequem ICONO Gutscheine über unseren Onlineshop kaufen.

Und wo siehst du, auch für euch, noch Potenzial?
SB:
Nichtsdestotrotz sehe ich im CRM auch noch riesige Potenziale, die Kundendaten so zu nutzen, wie es der Online-Handel es uns vormacht. Mit den richtigen Daten können wir noch viel gezieltere Angebote ausspielen. Von „Wir müssten uns bald wiedersehen“ über „Das Produkt müsste bald leer sein“-E-Mails bis hin zu „Angebote für nicht gebuchte Zeiten“.
Für den Salon sehe ich weiteres Potenzial von digitalen Lösungen dort, wo wir durch ihren Einsatz Kapazitäten für die bessere Bedienung und Beratung unserer Kund*innen erreichen können – Stichwort Farbmischmaschine oder auch bargeldloser Salon. Wenn wir von der Bezahlung bis hin zum Trinkgeld Bargeld abschaffen würden, würde das Kapazitäten von Mitarbeitenden für andere Dinge freimachen.

Danke lieber Stephan, wir sehen uns beim Zukunftskongress

Am 15.1.2024 kämpfen wir gemeinsam für die Zukunft der Friseurinnen und Friseure, seid dabei beim ► Zukunftskongress!