Credit: Sandrino Donnhauser

11.10.2023

Peter Mirtic: Wie viel Wert ist dem Friseur sein wichtigstes Werkzeug?

Expansion, Investitionen in Tradition, Profluencer und ganz besondere Individualisierung. Tondeo Geschäftsführer Peter Mirtic über das Scherengeschäft und seine Herausforderungen ...

Raphaela Kirschnick im Gespräch mit Peter Mirtic, TONDEO Markengeschäftsführer

Seit 1 Jahr leitest du die Solinger Scherenmanufaktur Tondeo. Was war für dich die größte Herausforderung im vergangenen Jahr? 
Peter Mirtic:
Im ersten Schritt die Repositionierung der Marke Tondeo, um deren DNA wieder hervorzuheben. Wir tragen mit Stolz und Selbstbewusstsein die Tradition und das Handwerk dahinter in den Markt, um Verständnis für die Handwerkskunst zu schaffen. Tondeo ist Manufaktur und somit geht es um die Leidenschaft fürs Handwerk.

"Mit „Made in Solingen“ halten wir an einer tausendjährigen Tradition fest."

Mit welchen Problemen hatte Tondeo zu kämpfen?
PM:
Exklusivität war immer Teil der Tondeo DNA, leider wurde das immer wieder durch Preismarketing negiert. Seit 1928 stehen wir für Innovation und Tradition. Mit „Made in Solingen“ halten wir an einer tausendjährigen Tradition fest. Auch Innovation ist seit dem Mittelalter Teil der Solinger Schmiedekunst, denn je besser die Schwerter, desto erfolgreicher der Ritter. Heute ist es der Friseur.

Welche Vertriebskanäle sind für Tondeo Scheren entscheidend?
PM:
Wir bauen auf den direkten Kontakt zum Friseur, denn die Schere ist das wichtigste Werkzeug für ihn. Wir sehen, wie begeistert Friseure sind, wenn sie bei uns live erleben, was Scherenkunde bedeutet. Es steckt 80% Handarbeit in einer Tondeo Schere. Schneidfähigkeit, Gängigkeit sowie Schärfe sind extrem relevant, darüber muss man sprechen, das muss man erleben – das geht nicht mal kurz zwischen Tür und Stuhl.

Wie viele Menschen arbeiten im Außendienst?
PM:
Aktuell sind es in Deutschland  10 Vertriebsleute. Wir bieten aber auch gemeinsam mit dem Großhandel Seminare (► Scherenparties) an und setzen hier unsere Trainerinnen und Trainer ein.  So garantieren wir den persönlichen Kontakt und eine professionelle Wissensweitergabe.

Tondeo ist 2022 auch in die USA expandiert. Wie ist es dort angelaufen?
PM:
Internationalisierung hat einen großen Stellenwert fürTondeo, die USA ist hier ein wichtiger strategischer Markt.  Qualität ‚Made in Solingen‘ ist auch dort bekannt und Geschichte und Tradition kommen in Amerika sehr gut an. Was wir dort allerdings beobachten, ist ein anderes Verständnis für Qualität. Dort erwartet man, dass Scheren, alle 3 Monate geschliffen werden müssen. Bei der Tondeo Qualität braucht man das nicht, das ist ein Lernprozess. Aber insgesamt läuft es sehr gut und das macht Spaß.

Zurück in die Heimat. Wird deutsche Handarbeit bei Scheren wertgeschätzt?
PM:
Die Frage sollte lauten: Wie viel Wert ist dem Friseur sein wichtigstes Werkzeug?Für ein perfektes Ergebnis braucht er eine hochpräzise Schere und das muss der Friseur fühlen. Es ist ja eine emotionale Welt. Auf Messen sehe ich in den Gesichtern und den großen Augen die Begeisterung, wenn ein Friseur den Unterschied an Scheren erspürt.

80% Handarbeit! Wie viel Handcraft wird es in 10 Jahren in der Produktion noch geben? 
PM:
Das wird so wie heute bleiben. Den Standard, den wir bei Tondeo erfüllen, den kann man nicht automatisieren.

Wo liegen die größten Qualitätsunterschiede bei Scheren, ausgeben kann ich zwischen € 50 und € 5000? 
PM:
  Weltweit werden die meisten Scheren nach einem Baukastensystem gefertigt. Griffbereich und Schneide sind aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt. Wir bei Tondeo sind die einzigen weltweit, die die Schere aus einem kompletten Stück Stahl produzieren. Das heißt, die Tondeo Schere ist von A bis Z aus dem gleichen hochwertigen Stahl. Dank Einsatz der CNC Technologie können wir hochpräzise Rohlinge anfertigen und je präziser der Start in die Produktion, desto präziser der Outcome. Ein bisschen ist das wie beim Kochen, je besser die Zutaten, desto besser das Ergebnis. Das spürt man an der Langlebigkeit und Schärfe der Schere.

Einige Topstylistinnen und Stylisten haben sich in diesem Jahr ihre eigene Schere bei euch anfertigen lassen: Petra Brockmann, Markus Salm, Maher Aslan und andere. Ist die eigene Schere ein neuer Trend?
PM:
  Das Thema Individualisierung und Kooperationen ist ein ganz großer Trend. Wir haben es hier mit großen Künstlern zu tun, die einen sehr hohen Anspruch an ihre Arbeit und damit verbunden auch an ihr Werkzeug haben.
Es macht uns stolz, dass diese Top-Friseure mit uns arbeiten. Wir schneidern dann alles auf ihre Bedürfnisse zurecht und können Innovation individuell ausleben.

Ihr setzt vermehrt auf Education und bietet Schulungsräume sowie Führungen durch die Manufaktur an. Wie wird dies angenommen? 
PM:
Jeder geht hier begeistert durch, es ist so schön, die Menschen durch die Produktion zu führen. Das wollen wir dem gesamten Markt ermöglichen, erst dann versteht man, wie viel Arbeit, aber auch Leidenschaft, in einer einzigen Schere steckt. Mit unserer Scherenkunst bringen wir den Menschen auch etwas aus ihrem eigenen Handwerk näher.

Tondeo Scheren sind im gehobenen Preissegment angesiedelt. Aktuell sind die wirtschaftlichen Herausforderungen im Markt jedoch groß. Wirkt sich das auch auf Investitionen in Scheren aus?
PM:
Das ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, allerdings zahlt sich gerade in solchen Situation das Investment in Qualität und Langlebigkeit aus. Wer billig kauft, muss meist zweimalkaufen.Die Schere ist eine der wichtigsten Investition für den Friseur, man spart a la long mit der Qualität, weil man weniger oft schleifen und warten oder gar austauschen muss. Durch die Präzision in den Gelenken treten weniger häufig Ermüdungen in den Händen auf und wir ermöglichen auch eine 0% Finanzierung.
Die vielen Profluencer, so nennen wir unsere professionellen Influencer, kommen gut an. Und wir machen starke Schritte in Richtung Digitalisierung und haben in diesem Jahr einige Innovationen auf den Markt gebracht, das schafft Nachfrage.

Wie nimmst du die Stimmung im Markt nach dem Sommer war? Was sagen die Zahlen?
PM:
Wir spüren das Sommerloch, gehen aber optimistisch in den Herbst. Natürlich drückt die wirtschaftliche Lage der Nation, aber Friseure sind so voller Energie, es ist eine Branche, die sich nicht unterkriegen lässt.

Auf welche Neuheiten dürfen wir uns 2024 freuen?
PM:
Wir haben gerade die Schere Gera herausgebracht. Diese ist aus deutschem patentiertem Stahl, eine Speziallegierung, die weltweit einzigartig ist, was Widerstandsfähigkeit angeht. Die extrem hohe Endhärte der ‚Gera‘, macht diese Schere zu einem unglaublichen Qualitätsprodukt.
Die nächste Innovationsbox öffnen wir auf der Top Hair Messe. Dazwischen arbeiten wir an etwas Wundervollem.

Jetzt bin ich neugierig!
PM:
Eine Schere, die auf einen einzelnen Menschen zu geschneidert ist! Die Geschichte begann damit, dass die Berufsgenossenschaft auf uns zukam. Es ging um das Schicksal einer Friseurin, die durch einen Unfall ihren Ringfinger verloren hatte. Damit kann sie als Friseurin nicht mehr schneiden. Für ihre gesonderte Situation haben wir eine eigene Schere produziert, die quasi den Ringfinger umgeht. Wir helfen ihr damit wieder ihrem Beruf nachgehen zu können und ins Arbeitsleben zurückzukehren.
Die Kundin hatte Tränen in den Augen, mit der Aussicht, wieder Haare schneiden zu können. Da wurde uns bewusst, welch einmalige Möglichkeiten wir hier im Hause haben. Das ist Gänsehaut pur. Es hat uns aber auch gezeigt, was wir können. Wir werden in Zukunft noch mehr auf Individualität eingehen. Diese Individualisierung ist Zukunft!

Das ist eine berührende Geschichte. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und bin auf die News bei der Messe gespannt.