01.07.2016

Karin van Vliet: Im Farbrausch geht es um Millimeter

„Wer schöner ist als ich, der ist geschminkt.“ thront über einem Riesenspiegel in ihrem Make-up Studio. Karin van Vliet bevorzugt Farben, die aufregen. Sie ist Kreativmotor für Schminkbegeisterte, umtriebig in unzähligen Leidenschaften und begeisterte Sammlerin: Alte Schminkprodukte, Seifen und Parfums, selbst restaurierte Schaufensterpuppen und Schmuckstücke von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute hortet sie in ihrem beinahe fertiggestellten Museum in der Köllnerhofgasse inmitten von Beauty und Mode.

Fakten

geboren und aufgewachsen in Wien

Gymnasium, Kosmetikfachschule (ehem. Wiener Schule für Körperpflege), Ausbildung Make-up Artist in Amerika

seit 25 Jahren Make up Studio „Karin van Vliet“

seit 1992 Make up Seminare, (Trainer-) Schulungen, Vorträge, Arbeiten fürs TV,

ca. 30 freiberufliche Mitarbeiter

Komplettes Make up Sortiment unter eigenem Namen: Karin van Vliet

Autorin: „Die dm Schminkschule“




imSalon: In Ihrem Make up Studio gibt es viel zu sehen und zu kaufen. Farbtiegelchen, Pinsel und Malstifte, Retrokleidchen, Schmuckstücke, Sonnenbrillen und Handtaschen aus allen möglichen Epochen. Sie mögen alte Dinge?
Ja, unbedingt! Ich bin ständig auf der Suche nach alten Sachen. Immer wenn ich Lust und Zeit habe, stöbere ich auf Flohmärkten, viele Dinge habe ich aus Paris oder den neuen Kanälen wie „Willhaben“. Beim Stöbern kann ich mich wunderbar entspannen, so wie jeder Sammler.

imSalon: Welche Epoche ist Ihnen denn die Liebste?
Vintage immer ein Thema. Wahrscheinlich, weil das in meiner Kindheit schon sehr prägend war.
Aber jede Zeit hat etwas Besonderes. Wenn man sich mit der Geschichte der Schönheit befasst, sieht man, dass die Menschen immer schon das Bedürfnis hatten sich schön zu machen, zu schminken. Ob in der Steinzeit mit Erdbemalungen, um die Zusammengehörigkeit in der Gruppe zu zeigen, oder in der Jetztzeit mit Make up, der eigenen Vorzüge wegen.
 

"Ich bin Visagistin ... Aha, und was machst du da?"



imSalon: Sie sind ausgebildete Kosmetikerin, mittlerweile eine Institution im Make-up Bereich. Wie kam das?
Ich habe ein halbes Jahr als Kosmetikerin gearbeitet, aber das war mir zu langweilig. Eher durch Zufall habe ich in Amerika eine Make-up Artist Ausbildung gemacht. Damals hat man nicht einmal gewusst, was ein Visagist überhaupt ist. Wenn ich gesagt habe, ich bin Visagistin, haben die Leute mich angeschaut und gefragt: Aha, und was machst du da? Begonnen habe ich mit Music Videos, später war ich die Erste in Wien, die in einem eigenem Geschäft Make-up angeboten hat. Ende der 80er Jahre, als ich noch nicht jeden Tag diesen Job hatte, arbeitete ich zusätzlich im John Harris Fitnessstudio an der Rezeption. Anfang der 90er habe ich dort am Schillerplatz mein erstes Make up Studio eröffnet.

imSalon: Es kamen Auftritte und Sendungsformate im TV dazu, z.B. die Original Sendung. „Willkommen Österreich“, in der Sie in mehr als 100 Folgen Schminktipps gaben. Hat die mediale Aufmerksamkeit im Beruflichen geholfen?
Ja schon, auch wenn man nicht sagen kann, dass am nächsten Tag deshalb hundert Leute ins Geschäft kamen. Aber ich höre oft noch, dass Leute sich an damals daran erinnern und sagen: Ich kenn Sie schon so lange!
Für mich ist es nach wie vor noch Erfolgserlebnis, zu sehen, wie Kunden oder auch Modelle, sich nach dem Schminken anders sehen und begeistert sind. Jedes Alter, egal ob Mann oder Frau. Bei unseren Kunden haben wir Männer, die gern Frau sein wollen, Frauen, die gern Männer sein wollen und Frauen, die einfach gern Frau sein wollen… Also, bei uns gibt es keine Grenzen, keine jung, keine alt.
 

"Man darf sich das Recht geben, alt zu werden."



imSalon: Was war die älteste Frau, die Sie je geschminkt haben?
Die war 101 Jahre alt. Das war etwas ganz Besonderes.
Ich finde Falten schön und auch, wenn man sie sieht. Man darf sich das Recht geben, alt zu werden. Nur, das braucht Selbstbewusstsein. Ich mag natürliche Gesichter. Aber ich bin die Letzte, die sagt, nachhelfen darf man nicht. Ich bin auch nicht gegen Schönheitsoperationen oder Unterspritzungen. Wenn man das für sich braucht, dann ist das legitim.
 

"Weniger ist immer mehr."



imSalon: Was ist wichtig beim Schminken?
Die Vorzüge hervorzuholen! Dafür gibt es unzählige Tricks und Produkte, die ganz natürlich wirken, wenn man sie richtig anwendet. Das ist allerdings oft so ein Punkt: Die Leute haben tolle Produkte, können aber manchmal nicht so gut damit umgehen.
Beim Schminken ist weniger immer mehr! Die richtigen Farben sind ganz, ganz wichtig. Das ist etwas, dass man lernen muss, da gibt es viel zu beachten und zu wissen, wo ich die Farbe denn eigentlich hin geben soll? Wenn ich einen tollen Lidschatten habe, der gut zu mir passt, aber ich nicht weiß, wo ich diesen bei meiner Augenform platziere, kann ich einen ganz negativen Ausdruck bekommen. Jedes Gesicht ist anders. Es geht darum zu wissen, wie ich mit diesen Unterschieden umgehe, wie ich Schlupflider schminke und Augen optisch nach oben schminken kann. Oder was ich tue, wenn sie abfallend sind. Hier geht es um Millimeter. Einer hinauf oder hinab, das schaut komplett anders aus. Hinzu kommt die Menschenkenntnis, sich einfühlen zu können. Das Make-up, das mir persönlich gefällt, funktioniert nicht für andere.
Und ganz wichtig ist es, die Leute nicht zu demoralisieren, nur um ein Produkt mehr zu verkaufen: Sie haben hier eine ganz tiefe Falte, und eine zu große Nase…bei jedem findet sich etwas schönes, dass es gilt zu betonen.
Ich möchte, dass Kunden mein Geschäft glücklich verlassen.

imSalon: Die meisten Frauen verwenden täglich allein im Gesicht vier Pflegeprodukte und mehr. Würden Sie jeden Tag ein Make-up benutzen?
Make up sollte nie ein Muss sein. Bei allen Produkten, die es gibt und die man verwendet, und davon gibt es eine Menge, sollte man wissen, WIE man sie verwendet und welche die richtigen für die Haut sind. Es sollte niemals so sein, dass man dem nachstrebt, was man in der Werbung gesehen hat. Viele verstehen nicht, wie Werbung arbeitet. Wie unerreichbare Bilder als normal verkauft und Sehnsüchte nach Produkten geweckt werden, die einem diesem Ideal näher bringen. Das ist oft das Problem.

imSalon: Was wären Sie heut, wären Sie nicht Make-up Spezialistin geworden?
Fotografin. Ich fotografiere gern, immer schon. Aber ich tu überhaupt sehr gern sehr viele verschiedene Dinge: Ich restauriere alte Möbel und Schaufensterpuppen, male Bilder. Ich kenne keine Langeweile. Ich habe viele Dinge, die ich niemals fertig machen kann (lacht). Das ist doch was Gutes, oder?
 

"Die Welt der Künstler war immer schon meine."



imSalon: Haben Sie als Kind schon gemalt?
Ja, immer schon. Ich komme aus einer kreativen Familie. Mein Vater war Chefrequisiteur an der Volksoper. Er war gelernter Kunsttischler und hat immer viel gebastelt. Er sagte z.B.: Schau, das ist ein Stück Holz. Was könnte man daraus machen? Einen Tisch? Einen Zug? Ich war viel im Theater. Die Welt der Künstler war immer schon meine.

imSalon: Gibt es Karin van Vliet Kunstwerke zu kaufen?
Nein. Ich habe viele und ich wollte immer schon mal eine Ausstellung machen, aber bisher hat mir immer die Zeit gefehlt. Wer weiß, irgendwann?
 

"Ich habe immer ein ruhige Hand."



imSalon: Was tun Sie, wenn Sie mal keine ruhige Hand haben?
Ich habe immer eine ruhige Hand (lacht). Ich bin nie nervös. Nervosität legt man irgendwann ab. Ich kann heute auf eine Bühne gehen und vor tausend Leute reden.

imSalon: Sie haben Persönlichkeiten geschminkt wie Falco oder La Toya Jackson. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Hmm, da gibt es einige … Die, die wirklich was konnten, die Superstars, haben das nie raus hängen lassen und einem immer ein gutes Gefühl gegeben. Ich erinnere mich an viele schöne Momente … Leonard Bernstein! Der war ein ganz toller Mann!

imSalon: Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
Nein. Ich mag Farben. Und Farbkombinationen. Davon gibt es noch viel zu viele, die ich ausprobieren möchte. Man sagt ja, Farben machen etwas mit deinem Körper. Was ich nicht so mag, in meinem Haus beispielsweise, sind Blautöne. Liegt vielleicht daran, dass man sagt, sie seien blutdrucksenkend. Ich brauche Farben, die aufregen.

imSalon: Wem würden Sie gern mal ein neues Styling verpassen wollen?
Ich geh nicht herum und denk, der oder die bräuchte ein neues Styling. Vielleicht gibt es Menschen, die sich mit eine paar leichten Strichen vorteilhafter aussehen könnten.

imSalon: Tut es Ihnen manchmal weh, wenn Sie schlecht geschminkte Menschen sehen?
Nein, weh tut das nicht. Ich frage mich, was ich tun kann, das Make-up harmonischer machen. Oder wenn beispielsweise eine ältere Dame mit ihrem Lieblingslippenstift in Pink zu mir kommt, und auf den Opernball möchte, dann hab ich nicht das Recht, zu sagen, das kann man nicht machen. Dann finde ich eine Möglichkeit, die Augen ganz strahlend zu machen und ihren Lippenstift mit einzubeziehen.

imSalon: Was sollte eine Frau zum Schminken immer dabei haben?
Das, was für sie wichtig ist. Lippenstift, Wimperntusche, Puder. Je nachdem.

imSalon: Machen Sie auch Haare?
Ich bin keine Friseurin, aber ja, wir machen auch Haarstyling. Es geht heute nicht mehr, nur das Eine zu machen, es wird beides verlangt. Ich habe verschiedenste Kurse gemacht in den letzten 30 Jahren. Da kommt einiges zusammen.

imSalon: Ihr Name fällt in der Friseurbranche häufig. David Rinner oder Roland Aichinger haben bei Ihnen gelernt. Wenn ich einen Kurs, eine Ausbildung bei Ihnen mache, gibt es Förderungen?
Es gibt die üblichen Förderungen z.B. vom AMS oder vom Waff. Da muss man für sich den richtigen Ansprechpartner finden und der Situation entsprechend entscheiden.

imSalon: Wer bucht ihre Kurse?
Wir bieten Schminkkurse für Friseure, bzw. Leute, die mit der Beautybranche zu tun haben. Weiterbildung für Friseure, die Tages- und Abend Make-up im Salon anbieten möchten. Die Kunden verlangen das einfach und ich fände es schade, diese woanders hinschicken zu müssen. Das ist etwas, das man selbst anbieten können sollte. Und es geht auch darum, ein schnelles Make up anbieten zu können, denn das Wichtigste beim Friseur ist das Thema Zeit. Wir trainieren auf Schnelligkeit.

ImSalon: Wie viel Zeit brauchen Sie für ihr Tages Make-up?
5 Minuten.

imSalon: Wie sehen Sie die Zukunft der Beautybranche?
Die sehe ich gut. Frauen werden auf Schönheitsprodukte nicht verzichten. Das sieht man in der Geschichte: Wenn die Zeiten schlecht waren, hat man noch mehr Wert darauf gelegt, gut auszusehen, auch, um das Selbstbewusstsein zu stärken. Die Kosmetikbranche steht gut da. Und je mehr es You Tube Videos und Make-up Bücher gibt, desto mehr wird der Bedarf geweckt. Und um wieder auf den Anfang zurück zu kommen: Als ich in meinem Beruf angefangen habe, haben die Leute nicht einmal gewusst, was ich in meinem Beruf mache. Das hat sich grundlegend verändert.