Historischer Führungswechsel durch Gülten Karagöz in Wien | Credit: Niklas Schnaubelt

23.04.2025

„Wir brauchen Block- und Regelunterricht für mehr Gestaltungsmöglichkeiten“

Gülten Karagöz ist neue Innungsmeisterin in Wien - mit einem breit aufgestellten Team von der fahrenden Friseurin bis zum Barbershop-Betreiber und konkreten Ansätzen.

Gülten Karagöz, bisherige Wiener Innungsmeister-Stellvertreterin, wurde zur neuen Landesinnungsmeisterin der Friseure gewählt und leitet als Listen führende des SPÖ-nahen Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes SWV einen Wandel in Wien ein. Wie ordnet sie ihren Sieg ein, was sind ihre Visionen und ersten Amtshandlungen? Wir haben nachgefragt:

Im Gespräch mit Katja Ottiger

Gülten, im Zuge deiner ►Wahl zur Wiener Innungsmeisterin wird gern von einem historischen Wechsel gesprochen. Weshalb ist das so?
Gülten Karagöz:
Weil es der erste Sieg des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes (SWV) seit Bestehen der Innung in Wien ist! Und das macht mich sehr stolz.

11 der zu vergebenden 15 Mandate in der Fachgruppe „Friseure Wien“ entfielen auf dich und dein Team. Zum Vergleich: In den vergangenen Jahren hattest du 5 Mandate, während 9 auf den Wiener Wirtschaftsbund (ÖVP) kamen. In allen anderen Bundesländern ging der Wirtschaftsbund wieder als Sieger hervor, einzig Wien ist anders. Wie sehr warst du selbst von diesem Ergebnis überrascht?
GK: Sehr. Ich habe immer dafür gekämpft, Innungsmeisterin werden. Aber dass ich für meine 11 Listenplätze auch 11 Mandate bekomme, war für mich selbst eine Überraschung.

"Ich will nicht zu den Meckerern gehören, sondern zu den Machern."

Du bist gebürtige Deutsche, hast mittlerweile einen österreichischen Pass und bist schon lang politisch aktiv. Warum?
GK: Ich will nicht zu den Meckerern gehören, sondern zu den Machern. Um etwas zu bewegen, musst du politisch aktiv sein. Deshalb habe ich mich immer politisch engagiert: in der Gewerkschaft und seit 15 Jahren in der Friseurinnung. Dort war ich zuerst Innungsausschussmitglied und 2018, nach dem Tod von Georg Albrechtshofer, übernahm ich die Position als Landesinnungsmeister-Stellvertreterin.

►Dein Team besteht zum Teil aus Mitgliedern mit Migrationsgeschichte und spiegelt die kulturelle Unternehmens-Diversität in Wien wider. Warum ist dir das wichtig?
GK: Ich habe die Kandidaten bewusst divers ausgewählt, wie z.B. auch eine fahrende Friseurin. Wir müssen wirklich jeden ansprechen, um unseren Alltag in Ordnung zu bringen. Und dafür brauche ich Leute, die dieselbe Sprache sprechen.

Thema Barbershops: Glaubst du, dass das gelingen kann?
GK: Ja! Während unserer Betriebsbesuche haben wir sehr viel mit den Unternehmern über ihre Probleme gesprochen. Sie klagen selbst über die Preisgestaltung oder darüber, dass ihre ehemaligen Mitarbeiter gleich nebenan ein neues Geschäft eröffnen.

Deshalb ist es wichtig, ihnen zu verdeutlichen, dass sie ihre Preise anheben und richtig kalkulieren müssen, um als gesundes Unternehmen bestehen zu können. Zum Teil haben wir ihnen Kalkulationen vorgeschrieben, nach denen sie perplex waren. Sie selbst meinen, dass ihnen Informationsquellen fehlen und wünschen sich ein Info-Seminar, das wir auch organisieren werden.

Wie kann es sein, dass jemand ein Geschäft aufmachen kann, wenn er gar nicht weiß, worum es eigentlich geht und was die richtigen Voraussetzungen sind?
GK: Das ist mir auch ein Rätsel. Bei diesen Betriebsbesuchen werden viele Themen aufgemacht. Einige haben geglaubt von österreichischen Friseurunternehmen „ausgebeutet“ zu werden, weil sie ja sehen, was sie erbringen. Nach Auflockerung der Gewerbeordnung haben sich viele dann „einfach“ selbstständig gemacht. Mit der individuellen Befähigungsprüfung und einer gewissen Anzahl an Arbeitsjahren ist dies ja möglich. Nur, macht man sich ohne Meisterkurs selbstständig, hat man keinen Einblick in die Spielregeln.

Vor welchen weiteren Herausforderungen steht das Friseurhandwerk in Wien?
GK: Wir haben Fachkräftemangel und keinen Nachwuchs. Wir haben steigende Kosten, starken bürokratischen Aufwand und eine anstehende Lohnerhöhung, die manche Salons zu schaffen macht.

Was sind deine Visionen für Friseurunternehmen in Wien?
GK: Dass wir das Image verbessern und dass unser Handwerk wieder eine Wertschätzung bekommt. Ich möchte in fünf Jahren zurückblicken und sagen: Dass ich alle meine Ziele für die Branche verwirklicht habe.

Was wird eine deiner wichtigsten ersten Amtshandlungen sein?
GK:
Im Mai bin ich in der Berufsschule. Die größte Problematik bei unseren heimischen Friseuren ist es, keinen Nachwuchs zu finden - und wenn Nachwuchs da ist, ist der Blockunterricht ein großes Problem. Viele nehmen keinen Lehrling mehr auf, weil sie nicht auf ihn verzichten können.

Soll Wien zurück in den Regelunterricht?
GK: Ich könnte mir beides vorstellen, einen Block- und Regelunterricht. Das würde den Betrieben mehr Gestaltungsmöglichkeiten geben: Dass große Unternehmen am Blockunterricht festhalten und die Kleineren zum Regelunterricht zurückkehren. Denn dass Betriebe nicht mehr ausbilden, ist zum Teil auch darauf zurückzuführen. Im Block ist ein Lehrling ca. vier Monate im Jahr weg: 2x sechs Wochen Blockunterricht, fünf Wochen Urlaub, Krankheit ... Das steht für viele nicht mehr im Verhältnis zu den Kosten.

Liebe Gülten, wir gratulieren dir zu deiner Wahl und wünschen dir für die kommenden, herausfordernden Jahre alles Gute!