Credit: Tim Schädlich

22.08.2024

Was steckt hinter dem 10.000€ Haarschnitt?

Tim Schädlich will mit seinem Salon im deutschen Eltville Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen abholen. Er setzt deswegen auf Goodies wie Mitarbeiterwagen, Yogakurse und Provisionsmodelle. Kunden wiederum können ein Haar-Erlebnis um 10.000 Euro buchen. Was dahintersteckt …

Tim, du setzt beim Thema Mitarbeiterführung auf besondere Goodies als Motivation. Erzähl mal!
Tim Schädlich:
 Ich habe mir schon vor Jahren überlegt, wie ich Mitarbeiter an mein Unternehmen binden kann. Anfangs habe ich 25 Euro H&M-Gutscheine oder Ähnliches zwischendurch verschenkt, wenn ein Haarschnitt oder eine Farbe besonders gut war. Ich wollte damit das Gefühl vermitteln, dass sie einen guten Job gemacht haben. Oftmals ist es genau das Gegenteil: Du holst dir deine Mitarbeiter ins Büro, wenn was schiefläuft, und ich wollte die positiven Leistungen hervorheben. Jetzt gibt es Goodies wie Mitarbeiterwagen, Yogakurse oder ein exklusives Essen.

War Mitarbeiterbindung schon immer ein wichtiger Punkt für dich?
TS: 
Ich startete allein, ohne Mitarbeiter und ich musste mir von null alles aufbauen. Das lag aber auch daran, dass ich nicht die optimalen Preise hatte. Mein Preis-Niveau war zu niedrig. Sobald ich Mitarbeiter hatte, nutzte ich die Möglichkeit, sie zu „belohnen“. Ich glaube, viele Unternehmer machen das falsch.

Inwiefern?
TS:
 Man beschwert sich über die Forderungen der Mitarbeiter und ist frustriert und lässt die Goodies dann doch lieber bleiben. Man kommt dann in eine Spirale: Chef ist frustriert, Mitarbeiter auch. Viele Unternehmer machen ihre Taschen voll, wenn es gut läuft, aber wenn es nicht so gut läuft, wie in Corona-Zeiten, zahlen sie plötzlich 67% Gehalt. Sie jammern, aber sitzen 3 Wochen später im Flieger zu den Malediven oder kaufen Louis Vuitton. Das ist paradox und trotzdem beschweren sich alle, dass sie keine Mitarbeiter bekommen. Wo bleibt hier die Wertschätzung?

Du machst es lieber zu günstig, um mehr Kunden zu bekommen.

Was waren deine Anfangsfehler?
TS: 
Es ist ein Klassiker, den jeder Selbstständige von seinen Anfängen kennt: Du machst es lieber zu günstig, um mehr Kunden zu bekommen. Das ist aber komplett idiotisch. Wir werden aber so geprimed, denn wann kommen wir Friseure in den Medien vor? Bei den Themen „schlechte Arbeitsbedingungen“, „Mindestlohn“ oder „Altersarmut“ - keine Spur von Beauty und Lifestyle!

Wer sagt uns Friseuren, dass wir keine 200 Euro für einen Haarschnitt nehmen können? Mein Umdenken kam in einer Zeit, in der ich 12-14 Stunden arbeitete, ein Kunde nach dem anderen, keine Freizeit, wenig Familienfeiern. Ich habe zwar gutes Geld verdient, aber für den Stress war es zu wenig. Ich habe dann auch begonnen, Seminare zu geben und war darum oft in Hotels.

Dort stellt niemand die Frage, warum das Schnitzel 30 und nicht 20 Euro kostet. Du weißt, es ist ein schönes Hotel und du akzeptierst das – das wollte ich auch für unsere Branche.

Warum hat es bei dir funktioniert und so viele Unternehmer*innen hadern bei den Preisen?
TS:
 Ich habe den Vorteil, dass ich noch andere Standbeine habe und wirtschaftlich nicht mehr von meinem Salon abhängig bin. Wenn es dein Brot-und-Butter-Geschäft ist, haben die Leute Angst. Sie denken: Wenn ich die Preise erhöhe, kommen die Leute nicht mehr. Das ist ein Schutzmechanismus. Wenn ich ab morgen nur mehr 300 Euro Schnitte verkaufe, würde noch immer jemand in den Salon kommen.

Du bietest deinen Mitarbeiterinnen* ein Provisionsmodell. Wie funktioniert das?
TS:
 Angenommen, der Mitarbeiter verdient 3.000 Euro. Ich rechne dann vor, was in den ersten Monaten an Tagesumsatz erwirtschaftet werden muss, damit wir beim Gehalt bleiben oder höher gehen können. Monatlich sind das in diesem Fall 12.000 Euro. Werden aber 13.000 Euro eingenommen, dann kriegt der Mitarbeiter von den 1.000 Euro 25%. Genauso verdienen sie 10% pro Verkaufsprodukt und ab 1.500 Euro verkaufte Produkte bekommen sie 15%. Aber auch Soft Skills werden belohnt, wenn ich z.B. bei Veranstaltungen Unterstützung erhalte. Es müssen nicht nur die Einnahmen stimmen, um ein höheres Gehalt zu bekommen. Mein Credo ist: Jeder, der sich entwickelt, wird belohnt.

Wie geht man damit um, wenn zwei Stylistinnen an einer Kundin arbeiten?
TS:
 Dann buche ich den Umsatz auf beide Accounts, weil eine den Service verkauft und die andere es ausführt. Betriebswirtschaftlich ist es jetzt nicht ganz korrekt, denn ich habe eigentlich nur einmal Umsatz und verteile ihn zweimal. Aber ich sehe in den Jahresumsatzzahlen, dass diese ansteigen, und außerdem wird das Konkurrenzdenken minimiert, da zusammengearbeitet wird.

Wie lange dauert es, bis so ein Prämien-System entwickelt ist?
TS:
 Das hat locker 10 Jahre gedauert und wir sind noch nicht fertig.

Stimmt es, dass es bei dir im Salon einen 10.000 Euro Haarschnitt gibt?
TS:
 Ja. Das ist abends an der Bar entstanden. Viele Kollegen saßen beisammen und prahlten, wie viel sie für einen Haarschnitt kassieren. Ich war von der Situation etwas genervt und sagte, dass ich ab jetzt der Teuerste von allen werde.

"Mit dem 10.000 Euro Haarschnitt kreiere ich Erlebnisse für die Kunden."

Aber was steckt hier wirklich dahinter? Es klingt eher nach einem PR-Gag.
TS:
 Ich sehe das, wie beim Auto-Quartett. Jeder weiß, wer die Bugatti-Karte hat und die höchsten Zahlen, gewinnt. Mit dem 10.000 Euro Haarschnitt kreiere ich Erlebnisse für die Kunden. Welcher Handwerksbetrieb macht das mit seinen Kunden? Du positionierst dich in einem ganz anderen Orbit. Menschen wollen Teil von etwas Besonderem sein. Warum stehen Leute bei Louis Vuitton an? Bestimmt nicht wegen der Qualität des Produktes, sondern weil sie dazugehören möchten. Unsere Kunden können sagen: „Ich gehe zum Friseur, der 10.000 Euro für den Haarschnitt nimmt.“

Was ist im 10.000 Euro Haarschnitt inkludiert?
TS:
 Im Grunde ist es eine Reise, bei der ein einmaliges Erlebnis geschaffen wird. Gemeinsam fliege ich mit den Kunden zum Beispiel nach New York. Dort schlafen wir in den besten Hotels inklusive eines sehr hochwertigen Concierge-Service, der sich um alle Belange der Mitreisenden für diesen Trip kümmert. Das Ganze startet schon mit einem VIP-Service in Frankfurt am Flughafen, wo man direkt mit dem Auto zum Flugzeug gefahren wird. Wir sind ausschließlich in Michelin-Sternerestaurants zum Essen, außerdem besuchen wir auch diverse Sportevents wie Basketball, Football oder Konzerte. Natürlich bekommen sie von mir einen Haarschnitt. Kostendeckend ist diese Aktion zwar nicht, jedoch nehme ich das Geld aus meinem Marketing-Budget.

Wie oft wird ein 10.000 Euro Haarschnitt gebucht?
TS: 
Einmal im Jahr können 6 Personen mit dabei sein. Dafür gibt es eine Anmelde-Liste. Ich ecke damit auch bei sehr vielen Kollegen an, denn die verstehen die Querverbindung bei so einer Aktion nicht. Die bezeichnen mich als Spinner, aber sie sind diejenigen, die leider jammern, sich nicht gut genug fühlen, niedrige Preise haben und so weiter. Es geht mir einfach darum, Kunden sowie Mitarbeiter richtig abzuholen.

Danke, Tim, für das spannende Gespräch und alles Gute für die Zukunft!