Credit: Jannis Wernecke

29.09.2022

Stuhlmiete: Ein Stylist muss wissen, ob er die Motivation hat, selbstständig zu sein

Rico Beer war selbst lange Stuhlmieter und nicht zufrieden damit, deswegen hat er nun seinen eigenen Co-Working Space in Berlin gegründet mit einer Musketier-Knigge, damit kein Chaos entsteht.

Im Interview mit Juliane Krammer

imSalon: Hi Rico, am Berliner Ku’damm ist dein Co-Working Space Parlour&Places zu finden. Seit wann gibt es das Konzept?
Rico Beer: Im März 2021 haben wir direkt nach dem Lockdown gestartet.

Du selbst bist Friseur, warum entscheidet man sich dazu, ein Stuhlmiete-Konzept zu entwickeln?
RB:
Ich habe die herkömmlichen Wege der Selbstständigkeit probiert und auch einen eigenen Salon geführt. Aber das gesamte Mitarbeitermanagement, wie Krankschreibung, Motivation, Arbeitsmoral, … empfand ich als zu umfangreich und schwierig. Diese Faktoren haben mir den Spaß an der Selbstständigkeit genommen.
Ich wusste, dass Stuhlmiete-Konzepte in den USA oder China gut laufen – dort funktioniert das unproblematisch sowie unbürokratisch. Und irgendwann habe ich meinen Salon verkauft.

Warst du selbst einmal Stuhlmieter, um diese Seite erlebt zu haben?
RB:
Ja, ich war sechs Jahre lang in unterschiedlichen Salons als Stuhlmieter tätig, aber es gab Strukturprobleme, wie zum Beispiel Öffnungszeiten, die vorgegeben waren, aber auch das Warenmanagement, die Warenverwaltung, Kundenakquise etc. stellten sich für mich als unschön heraus.

Woher hattest du dein Wissen, um als Stuhlvermieter korrekt durchzustarten?
RB:
Die Information habe ich mir bei der Handwerkskammer und der Clearingstelle, eine spezielle Abteilung der deutschen der Rentenversicherung, geholt. Letztere hat zur Aufgabe, zu prüfen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Es gibt Leitfäden, an denen ich mich orientiert habe, aber ich bin das mit meinen Anwälten auch noch durchgegangen.

Wie läuft eine Vermietung für Stylistinnen ab? Was sind die Voraussetzungen, um bei dir einen Stuhl zu mieten?
RB:
Ein Stylist muss für sich selbst wissen, ob er die Motivation hat, selbstständig zu sein. Dazu gehört Mut, Disziplin und Durchsetzungskraft. Wenn die persönlichen Vorgaben stimmen, dann folgen noch die gesetzlichen Anforderungen: Es braucht einen Handwerksmeister-Brief und man muss in die Handwerksrolle eingetragen sein sowie die Handwerkskarte haben. Dann kann ich starten.
Es gibt dann noch Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn man eine gewisse Berufserfahrung von über 6 Jahren im erlernten Handwerk vorweisen kann oder auch Personen, die vier Jahre in einem Salon eine leitende Funktion hatten. Neben der Praxiserfahrung haben sie auch betriebswirtschaftliches Wissen durch die Salonführung erlangt. Das fällt unter die Altgesellenregelung

Was wird gebraucht, um einen Vertrag bei euch abschließen zu können?
RB:
Der Handwerksbrief und Personalausweis. Dazu kommt eine Mietkaution in der Höhe der Monatsmiete – Teilzeit oder Vollzeit. Wir bestehen da aus Sicherheitsgründen darauf, denn nichts liegt uns ferner, das Bild eines Salonhoppings zu vermitteln.

Das heißt die Parlour&Places Stuhlmieter*innen sind euch treu?
RB: Mit 15 Friseuren sind wir das größte funktionierende Co Working Friseur-Studio in Deutschland. Es sind noch alle da. Bei uns funktioniert das und es sind nur noch drei Plätze frei.

Wie handhabt ihr das Thema Lager?
RB:
Jeder Stylist hat vier große Lagermöglichkeiten und eine Kassen-Lade, die abgeschlossen ist.

Und wie geht ihr mit dem Thema Produkte um?
RB:
Wir stellen im Salon eigene Produkte zur Verfügung. Diese sind in der Miete inkludiert.

Wie handhabt ihr Laufkundschaft?
RB:
Diese werden an anwesende und freie Mieter weitergegeben. Denn ein Laufkunde fragt für den Moment, in dem er im salon ist, zeitlich an - daher können nur anwesende Mieter berücksichtigt werden.

Wie ist die Registrierkasse bei 15 unterschiedlichen Stylist*innen organisiert?
RB:
Jeder hat eine eigene Kasse, welche nach Vorgabe aus dem Mietvertrag gesetzeskonform zu sein hat. Damit sind TSE (Anm. d. Red: Technische Sicherheitseinrichung) Schnittstellen, das ist eine Schutzmaßnahme gegen Manipulation an technischen Daten, sowie GoBd Zertifizierung gemeint.

Gibt es einen Öffnungszeitenrahmen? Oder kann jede*r seine Arbeitszeiten komplett frei einteilen?
RB: 
Es gibt keine Öffnungszeiten für den Salon, Der Salon ist 24h, 7 Tage die Woche für die Mieter nutzbar. Da es nicht rechtens ist, einen Selbstständigen Arbeitszeiten vorzugeben und somit der Grundlage der Scheinselbstständigkeit entspricht, ist es hier genau so gehandhabt, dass alle Mieter 100% freien Zugang haben und wann immer sie es selbst entscheiden, ihrem Gewerbe nachgehen können. Wie ich das manage, ist leider nur Franchise-Nehmern zugänglich.

Worauf belaufen sich die Kosten?
RB:
Es gibt einen pauschalen Mietvertrag. Sämtliche Nebenkosten wie Strom, Wasser, Backbar-Produkte sind inkludiert. Es ist abhängig davon, wo der Stuhl steht. Die Preise variieren von 950 Euro bis 1130 Euro netto. Wir sind mit dem Preis im absoluten Mittelfeld.

Wer kontrolliert, wie die Arbeitsplätze hinterlassen werden?
RB:
Ich habe eine Knigge für Selbstständige geschrieben – ein Leitfaden, damit die Zusammenarbeit in keinem Chaos ausartet.

Kann ich vielleicht einen kleinen Einblick in diesen Leitfaden haben?
RB:
Das Geheimnis verraten wir nicht, nur unsere Stuhlmieter und zukünftigen Franchisenehmer werden hier eingeweiht. Aber man kann es grob so zusammenfassen: Man ist ein Team, wenn man in einem Salon arbeitet, obwohl man selbstständig ist – so wie die Musketiere

"Für alle Salonbesitzer, die überlegen, ein oder zwei Stühle für eine Stuhlmiete anzubieten. Setzt euch mit dem Thema ausgiebig auseinander! Es birgt viele Hürden und ist nicht einfach gelöst mit einem freien Stuhl und Spiegel.."

Ein Tipp für Salonunternehmer*innen, die zum Beispiel einen Stuhl frei haben und Stuhlmiete einführen wollen.
RB:
Meine Meinung - für alle Salonbesitzer, die überlegen, ein oder zwei Stühle für eine Stuhlmiete anzubieten: Setzt euch mit dem Thema ausgiebig auseinander! Es birgt viele Hürden und ist nicht einfach gelöst mit einem freien Stuhl und Spiegel. Wenn zu wenig Wissen vorhanden ist, rate ich davon ab!

Vielen Dank, Rico, und alles Gute für die Zukunft!