Credit: Bild zur Verfügung gestellt von R. Titzmann, AdobeStock Gamelover

02.09.2022

Rosemarie Titzmann: Kunden wollen am Samstag nicht mehr zum Friseur

Handeln ist gefragt. Rosemarie Titzmann hat die 4-Tage-Woche eingeführt und samstags geschlossen, die Reaktionen haben auch sie überrascht …

Du hast in diesem Jahr die Vier-Tage-Woche eingeführt, wie kam es dazu?
Rosemarie Titzmann:
 Na unsere aktuell größten Probleme haben wir mit Nachwuchs und jungen Mitarbeitern. In vielen Gesprächen mit Kollegen wird dann immer angesprochen, dass Mitarbeiter samstags nicht mehr arbeiten wollen. Das ist etwas, dass ich bei Kongressen mitgenommen habe und das hat mir die Augen geöffnet. Obwohl ich da immer dagegen war, hab mir dann doch den Kopf zermartert, wie ich das machen könnte.

Wie war es dann den Samstag zu schließen?
RT:
Hier in Bonn gibt es schon donnerstags viele Partys. Da haben wir jetzt bis 19:30h offen, da kommen Kundinnen um 18:00h für die Haarfarbe, das funktioniert hervorragend.

Wie hast du die Stunden für die Mitarbeiter untergebracht?
RT:
Ich habe mich tatsächlich von den Stunden im Kopf befreien müssen. Am wichtigsten ist es mir eigentlich, dass meine Mitarbeiter happy sind und dass gleichzeitig der Umsatz stimmt, damit ich sie auch zahlen kann. Nachdem ich das durchkalkuliert hatte, habe ich einfach gesagt, ich schenke ihnen drei Stunden pro Woche. Mit 37h pro Woche geht sich das wunderbar mit der Verteilung auf vier Tage aus.

Wie hast du dein Team darauf vorbereitet?
RT:
Als ich im Mai die Entscheidung getroffen hatte, habe ich mein Team sonntags zum Essen eingeladen und angekündigt „Wir müssen reden“. Da kam ich gerade vom Kongress und die wussten schon alle, ach da kommt jetzt irgendwas, was ich ausprobieren möchte. Ich habe dann einfach geradeheraus gesagt, ich will das ausprobieren und alle waren sofort begeistert.

Gab es auch Ängste vonseiten der Mitarbeiter oder Fragen?
RT:
Die größte Angst war eigentlich, was mache ich mit meinen Samstags-Stammkunden?

„Das allergrößte Learning war, dass die meisten eigentlich eh gar nicht mehr am Samstag zum Friseur wollen.“

Wie haben denn die Kunden reagiert, gab es da Probleme?
RT:
Die Kunden finden das super! Für mich war dabei das allergrößte Learning, dass die meisten eigentlich eh gar nicht mehr am Samstag zum Friseur wollen. Die Kommentare lauteten: Toll, jetzt muss ich nicht mehr am Samstag drei Stunden zum Friseur, sondern erledige das unter der Woche abends. Es gab eine einzige Beschwerde, eine Kundin wollte unbedingt samstags kommen. Ja, das ist Pech, denn im Gegenzug haben wir sehr viele neue Kunden gewonnen.

„Wir haben jede Woche einen kleinen Kurzurlaub“

An welchen Tagen habt ihr geöffnet?
RT:
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag! Dadurch haben wir jedes Mal einen kleinen Kurzurlaub. Selbst ich genieße das so unglaublich, dass ich richtig nachvollziehen kann, wie das jeden glücklich macht. Die Stimmung im Salon ist unglaublich!

„Die Vorfreude auf 3 freie Tage dominiert immer …“

Was war das Schwierigste in der Umstellungsphase?
RT:
 Meine einzige Angst war die vor den langen Tagen, also 9-10 Stunden am Tag im Geschäft zu stehen. Aber das macht überhaupt nichts, weil man dann einfach an den Freitag und das folgende lange Wochenende denkt. Die Vorfreude dominiert immer dieses Bangen vor dem langen Tag.

Wann hast du konkret damit begonnen?
RT:
Am 18. Juni. Davor haben wir alle Kunden angeschrieben und wie gesagt, es kam super gut an. Wir sind jetzt immer zu acht im Salon. Das stärkt auch ungemein das Team-Bewusstsein.

Wie ist das mit den Auszubildenden?
RT:
Ich habe aktuell zwei Auszubildende. Die verlängern einfach ihre Pause, da sie bereits über 18 sind, ist das überhaupt kein Problem.

„Andere Azubis wollen jetzt bei uns weiterlernen. Der freie Samstag scheint ein unglaubliches Zugpferd in der Ansprache junger Leute zu sein.“

Wie war das Feedback der Auszubildenden?
RT:
Unsere Azubis kommen aus der Berufsschule zurück und sagen, dass ihre Berufsschulkolleginnen mittlerweile alle fragen, ob sie hier weiterlernen dürfen, weil sie das auch gerne hätten. Also der freie Samstag scheint ein unglaubliches Zugpferd in der Ansprache junger Leute zu sein. Ich habe tatsächlich auch einen Mitarbeiter aufgrund dieser medialen Aufmerksamkeit auch gewonnen.

 

Was meinst du mit medialer Aufmerksamkeit?
RT:
Ich habe unglaublich viel gratis PR in Bonner Regionalmedien bekommen. Das Bonner Fernsehen hat sogar einen kleinen Film gemacht, der auf YouTube über 400.000 Aufrufe hatte. Das ist natürlich eine tolle Geschichte.

Was hat dir geholfen, deine Entscheidung letztendlich zu treffen?
RT:
Ich habe mich einfach getraut. Was kann denn auch passieren? Wenn es schiefgeht, dann kann ich es wieder rückgängig machen. Was mir auch wichtig war, ich habe nie Kunden um Erlaubnis gebeten, ich habe jeden vor vollendete Tatsachen gesetzt und das war eine gute unternehmerische Entscheidung.

Habt ihr Arbeitsverträge erneuert?
RT:
Nein, wir haben noch keine neuen Verträge, da bin ich gerade dabei, da wir eh neue Arbeitsverträge benötigen.

„Ich habe meinen Mitarbeitern 12 Stunden geschenkt“

Wie sieht's aus mit dem Lohn?
RT:
Der Lohn bleibt, wie er ist. Nur arbeiten meine Mitarbeiter jetzt nur noch 37 Stunden. Ich habe ihnen quasi 12 Stunden im Monat geschenkt. Das ist wie eine kleine Gehaltserhöhung. Zusätzlich habe ich alle super glücklich gemacht. Meine Leute sind sowas von motiviert.

Deine größte Überraschung?
RT:
 Na ja, eigentlich war ich selbst mein größter Feind. Ich hatte diesen Knoten in meinem Hirn, den musste ich lösen und habe den jetzt zu einer Glückssträhne geformt.

Liebe Rosemarie, vielen Dank für deinen offenen Input und herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Umstellung.

Rosemarie Titzmann ist Salonunternehmerin in Bonn. Bei Friseur Titzmann arbeiten aktuell 7 Mitarbeiter, davon 2 Auszubildende.