Achim Rothenbühler über Marktbereinigung, Bildschirmmüdigkeit und Bildungsmischkultur | Credit: Hildebrand.Photography

25.09.2020

J.7`s Achim Rothenbühler: Unsere gemeinsame Disziplin rettet uns den Arsch

Der deutsche Schulungstausendsassa über Marktbereinigung, Bildschirmmüdigkeit und Zweigleisigkeit als Anforderung der Zukunft…

Im Telefoninterview mit Katja Ottiger

Achim, wie rennt der Seminarmarkt bei euch in Deutschland?
Achim Rothenbühler:
Es ist nicht die leichteste Zeit für ein normales Seminarprogramm. Jetzt, nach der Sommerpause, machen ein paar Leute normal weiter und buchen Seminare, obwohl das Geld knapp ist. Die Ängstlichen stehen auf der Sparbremse. Wir halten das Programm aufrecht, nur größere Veranstaltungen, ab 50 Leute, finden nicht statt.

Die Sparbremse, ist die nicht verständlich?
AR
: Klar, kostenbewusst arbeiten ist wichtiger denn je. Wir haben eine preissensible Zeit und die Kunden schauen mehr denn je auf Leistung. Dennoch will ich ganz schnell Corona aus den Köpfen haben und den Fokus auf Alltag und auf Ergebnisqualität schalten, wenn auch unter den neuen Bedingungen mit Schutzmasken und Hygienevorgaben – im Auto schnalle ich mich ja auch an.

Was ändert sich im Seminar?
AR: Da wird gearbeitet wie im Salon, nämlich mit Maske, Abstand und Hygieneregeln. Wenn wir an Trainingsköpfen arbeiten, können wir ausreichend Abstand halten, bei Modellschulungen rücken wir noch weiter auseinander.

„Es gibt eine gewisse Bildschirm-Müdigkeit...“

Wie ist die Stimmung bei Salonunternehmern?
AR: Ich merke, dass Unternehmer extrem ausgehungert sind und sich treffen möchten. Das betont jeder, mit dem ich in den letzten Monaten Kontakt hatte. Es gibt eine gewisse Bildschirm-Müdigkeit, man sehnt sich nach realem Erfahrungsaustausch.

Wen würdest du hier in der Pflicht sehen?
AR:
Ich denke, es ist die Aufgabe der Industrie, sich zu fragen, wie wir uns wieder mit 50 Menschen treffen können. Wir müssen raus aus dem Coronamodus und nach vorn blicken. Das heißt konkret mit dem Virus leben! Wir können doch nicht die nächsten Jahre von der Bildfläche verschwinden.“

„Unsere gemeinsame Disziplin ist,
was uns Friseuren den Arsch rettet!“

Wie siehst du Kollegen, die sich der Maskenpflicht entziehen möchten?
AR:
Unsere gemeinsame Disziplin ist, was uns Friseuren den Arsch rettet! Die Masse macht es aus und wir sollten uns nicht auf den einzelnen Deppen konzentrieren. Wir haben selten Kunden an der Tür, die motzen und die Maske verweigern. Und wenn, dann schicken wir die nach Hause!

Was macht dir im Moment Bauchweh?
AR:
Die Umsätze sind schlecht und längst ist nicht alles wie vorher. Es gibt Kunden, die Angst haben und andere, die nicht mit Maske sitzen wollen. Aber generell herrscht eine unmotivierte Grundeinstellung, Kunden brauchen uns im Moment nicht. Es macht eben fürs Äußere einen Unterschied, ob ich nach Malle fliege oder im Garten bleibe.

Und eure treuen Kunden?
AR:
Womit wir in der Stadt zu kämpfen haben, ist eine Friseur Verschiebung. Viele Kunden suchen sich in ihrer nahen Umgebung ihres Wohnortes einen neuen Friseur. Ist halt einfacher mit Home-Office.

Aktuell erreiche ich dich beim Videodreh. Welche Neuigkeiten hast du für uns?
AR: Wir stellen unser Basic Seminar, das normalerweise zwei Wochen dauert, um. Auf die Kombi Seminar und Webinar. Wir drehen alle Haarschnitte, Farb- und Beratungstheorie, eben alles, von dem wir glauben, dass man von zuhause vorarbeiten kann, als Video. Statt zwei Wochen Training vor Ort gibt es jetzt mehrere Filme und eine Woche mit Trainer zum Nacharbeiten in der Akademie.

Das klingt erstmal geldintensiv. Was bedeutet das für die Kosten des Seminars?
AR:
Die Kosten bleiben die gleichen, denn es ist immer noch der gleiche Inhalt. Dennoch sparen die Teilnehmer: weniger Anfahrt- und Übernachtungskosten für die Teilnehmer. Dieses Konzept sehe ich als Format der Zukunft, dass sich für Chefs rechnen kann.

„Ich wollte das Digitale für mich nicht mehr.“

Was bedeutet das für dich als Achim Rothenbühler persönlich?
AR:
Wir Akteure müssen lernen, mit dem Digitalen umzugehen, da musst du immer schauen, dass dir die Leute nicht wegfliegen, nach vorn spulen oder aussteigen. Ich wollte das Digitale für mich ja nicht mehr, habe das eher bei meinen jungen Kollegen gesehen. Wenn du mal 30 Jahre auf der Bühne gestanden bist, dann bist du das schnelle Feedback vom Publikum gewöhnt. Unser neues Programm ist jetzt ein Testballon, eine Gratwanderung, bei der wir alle mitnehmen müssen, auch die digitalen Verweigerer.

Das klingt nach einem wirklich neuen Seminarverständnis!
AR:
Es wird sich eine Mischkultur entwickeln, Zweigleisigkeit ist die Anforderung der Zukunft. An uns als Schule, mit Präsenzseminaren und digitalem Angebot. Aber auch an die Chefs. Ich sehe hier Teamevents, bei denen der Chef sagt: „Leute, wir treffen uns im Laden, ich bestelle Getränke und Essen und wir schauen und das gemeinsam an!“ Das ist neuer Teamspirit, da entsteht Austausch, man kann diskutieren und gemeinsam chatten. Es fahren nicht mehr nur die Besten aus dem Team zu einem Seminar, sondern es werden alle eingebunden.

Free Education versus Paid Education. Die Gratis-Konkurrenz aus dem Netz ist groß. Wie lässt sich Onlinewissen finanzieren?
AR:
Da muss man als Schule drüberstehen, denn es gibt sehr viele Videos auf YouTube, die einen Bob beschreiben, aber keinen Trainer, der dahintersteht mit der richtigen Hand- und Körperhaltung. Ohne das ist es eben nur ein Bob! Es geht darum, Fachinhalt mit jungfräulicher Denke so zu gestalten, dass die Mischform für beide Seiten funktionieren kann. Für die Anbieter und die Nutzer.

Wie siehst du euren Wechsel zu Goldwell?
AR:
Gut! Ich muss wirklich sagen: Hut ab! Die sind in der Corona Anfangsphase in Sachen Education mal ganz schnell an den anderen vorbeigezogen und haben sich zu 100 Prozent auf die neue Situation eingelassen. Die machen einen TopJob mit Education-Qualität und leidenschaftlichen Trainern. Das bestärkt mich!
Wir haben ja nicht zu Goldwell gewechselt weil wir Langeweile hatten. Wir haben uns da schon etwas dabei gedacht. In den letzten Monaten haben die mich von Goldwell wirklich nochmal geflasht!

„Goldwell? Die sind mal ganz schön schnell
an den anderen vorbeigezogen.“

Du meinst vor allem auch deren ► Hybrid Education als Gesamtkonzept?
AR:
Ja, zum Beispiel! Ich habe das auch lange mit Andreas Mignon(Director Eduction Kao Germany GmbH, Anm.) besprochen - Goldwell betont immer: „Auf keinen Fall weg von live“. Aber muss ein Fachtrainer für eine Produkteinschulung durch ganz Deutschland fahren? Nein, das ist rum.
(Lest dazu auch unser Interview auf imSalon.de: ► Andreas Mignon - Wir können doch Wissen nicht for free rausgeben!)

Der Blick nach vorn – was ändert sich wie?
AR:
Die Starken in der Branche sind gefordert, die Schwächeren mitzuziehen. Die Branche hatte schon vorher hängende Köpfe, das lässt sich nicht alles auf Corona schieben. Wir haben doch schon vorher in die Fresse bekommen, weil wir keine Mitarbeiter gefunden haben. Und dann kam Corona, da müssen wir jetzt mit einem großen Knall wieder raus.

„Es bleiben die Discount- und die Premium-Salons.“

Was sagt deine Glaskugel?
AR:
Es wird eine Marktbereinigung geben, das sehen wir doch schon jetzt. Insolvenzen kommen und Mitarbeiter werden frei, neue Kundestämme tun sich auf. Es braucht eine Qualitätsoffensive! Denn darüber brauchen wir nicht diskutieren: Es bleiben die Discount- und die Premium-Salons, und in die muss investiert werden, da werden Education, Beratung und Salondesign das Minimum sein.