01.02.2016

Joe und Bernd Weißbacher: Chaos mit Konzept

Sie sind grundverschieden, aber agieren seit 20 Jahren im Gleichschritt. Sie haben aus Fehlern gelernt und betreiben Wissensvermittlung mit Leidenschaft.

Die beiden Tiroler Joe und Bernd Weißbacher sind grundverschieden, haben getrennte Freundeskreise, aber ein gemeinsames Konzept, und das seit 20 Jahren. chaos bietet Aus- und Weiterbildungssysteme, 15 Salons in Österreich und Deutschland und die Brüder sind reich an Erfahrung.
Was die beiden Köpfe der chaos hairconcept Gruppe aneinander schätzen und warum sie für ein „Branchen-Kastensystem“ mit Sterne-Kategorien plädieren? Wir fragten nach. Ein Gespräch über Rudelführer und Follower, über Visionen und Verbündete.


imSalon: „chaos hairconcept“? Wie kommt man auf den Namen, sagt das etwas über eure Persönlichkeiten aus?
(Schmunzeln.) Nein. Als wir uns selbstständig machten, wollten wir eine Marke schaffen, die für Gesprächsstoff sorgt, aber mit der sich jeder Mitarbeiter identifizieren kann. Chaos ist die Bezeichnung für den Kosmos und schon altertümliche Gelehrten und Philosophen haben festgestellt, dass nur im Chaos der unendlichen Möglichkeit wahre Kreativität entstehen kann. „chaos hairconcept“ ist das Paradoxon Kreativität und Organisation. Es bedeutet für uns auch, die unendliche Vielfalt und Weite, die in der Friseurbranche noch möglich sind.

imSalon: Joe – ein eher ungewöhnlicher Name, wenn der Bruder Bernd heißt - Eine Abkürzung?
Ja. Ich bin auf Josef getauft. Wurde aber immer Joe gerufen, weil mein Vater hieß Josef und der Großvater hieß Josef… Bis auf offizielle Reisedokumente steht bei mir überall Joe.

imSalon: Ihr seid Friseurkinder, eure Eltern hatten drei Geschäfte in Wildschönau. Die Berufswahl stand also fest?
Unseren Eltern war wichtig, dass wir das, was wir tun, richtig machen, ob als Friseure oder nicht. Wir haben als Kinder viel Zeit im Salon verbracht, der war direkt im Elternhaus. Das war unser Schlechtwetterprogramm. Das Interesse hat sich einfach ergeben.

imSalon: Was war der ausschlaggebende Moment euch geschäftlich zusammen zu tun?
Joe: Ich wollte mich nach den Jahren der Trainertätigkeit selbstständig machen. Ich denke, wenn man mal Trainer war, gibt es keine andere Möglichkeit. Entweder bleibt man in dieser Richtung oder man macht etwas Eigenes. Als Kinder hatten wir ziemliche Differenzen, aber nach den Jahren der beruflichen Trennung, dachte ich, ich frag Bernd einfach, was er davon hält ... Die Eltern waren ja eher skeptisch.
Bernd: Wir sind sehr gegensätzlich und das befruchtet uns. Wir haben Vertrauen und Respekt dem anderen gegenüber. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten und Konfrontationen, aber wir wissen beide, was wir aneinander haben.

imSalon: Ihr seid seit dem letzten Jahr Mitglied der Intercoiffure. Warum?
Netzwerke werden immer wichtiger. Die Intercoiffure sind ein Zusammenschluss verschiedener Unternehmer, die ähnliche Qualitätskriterien verfolgen. Und solche Netzwerke werden immer wichtiger. In der Zukunft sehe ich unsere Branche in diesem Zusammenhang immer deutlicher dort, wo die Hotellerie schon in den 80ern hingekommen ist, und wo man begonnen hat, in Sterne-Kategorien zu unterscheiden, Differenzierungen wie Wellness- und Designerhotels zu treffen. Wir glauben, es ist nicht mehr möglich, dass eine Innung alle Friseure vertritt, dafür sind die Ausrichtungen viel zu unterschiedlich. Die Intercoiffure ist ein Netzwerk, das dort ansetzen kann, Meinungsaustausch, Ideen und Kontakte miteinander zu verknüpfen.
imSalon: Joe, beim Neujahrsempfang der Intercoiffure wurde der neue Kollektivvertag präsentiert. Du warst dabei, was hältst du davon?
Als Eigner gehen sie mir noch nicht weit genug. Was sehr gut ist, ist, dass manche Positionen klarer definiert sind, wie das Thema der Provisionen und der Arbeitszeitgestaltung. Fakt ist ja, dass hier viele Unternehmer für ihre Mitarbeiter und sich ohnehin schon Besserstellungen lukriert haben, die bisher vor dem Arbeitsgericht angreifbar waren, weil sie nicht klar genug definiert waren.
 

"Wir hatten Vertrauensvorsprung, viele Ostdeutsche hatten nicht vergessen, dass Österreich damals als Erste die Grenzen geöffnet hatte."



imSalon: Ihr ward für Kadus jahrelang als Fachtrainer in Deutschland unterwegs, sogar direkt nach der Grenzöffnung…
Ja, das war für uns beide ein Glücksgriff. Nach der Ostöffnung gab es enormen Schulungsbedarf und als Österreicher ist man sehr gut angekommen. Wir hatten einen sehr großen Vertrauensvorsprung, viele Ostdeutsche hatten nicht vergessen, dass Österreich damals als Erste die Grenzen geöffnet hatte. Das war eine komplett neue Welt und hat unsere spätere Selbstständigkeit geprägt. Denn wenn du als Fachtrainer in den Salon gekommen bist, hast du eigentlich immer zwei Geschichten gehört. Die vom Salonbesitzer, der meinte, meine Mitarbeiter wollen nicht, und die der Mitarbeiter, die gesagt haben, wir dürfen nicht. Damals hat man schon spüren können, dass junge Leute sehr wohl möchten. Das ist heute ähnlich. Das Denken, das früher alles anders war, das stimmt einfach nicht, Generationenkonflikte hat es immer schon gegeben.

imSalon: Früher – Heute - Zukunft. Wie beschäftigt ihr euch damit?
Gedanken über die Zukunft haben eine große Bedeutung für uns. Aktivitäten fernab der Friseurbranche waren uns immer schon wichtig. Ob das jetzt auf Wirtschaftskongressen ist, in der Tätigkeit als TEMP Trainer (Anm.: TEMP Methode zur Unternehmensführung von Dr. Jörg Knobloch) oder in gelegentlichen Gesprächen mit Harry Gatterer (Anm.: Zukunftsinstitut.de). Über den Gartenzaun hinaus zu schauen ist wichtig, um Ströme und Tendenzen auf unsere Branche hinunter zu brechen und die Auswirkungen abzuwägen.

imSalon: Gibt es Zukunftsideen, die ihr schon umgesetzt habt?
In einer Dienstleistungsbranche, in der die Personalfluktuation hoch ist, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor es zu schaffen, dass sich die Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren, beispielsweise durch Arbeitszeitmodelle, über die wir uns schon sehr früh nachgedacht haben. Für uns war von Anfang an klar, dass Partner stärker sind als Einzelkämpfer, deshalb die Überlegungen Mitarbeiter im Franchisesystem zu beteiligen.
2005 haben wir den TRIGOS Award für unser Aus- und Weiterbildungssystem für mittelgroße Unternehmen in Tirol gewonnen – branchenübergreifend - und 2006 den TRIGOS Award für Nachhaltigkeit. Wenn man da neben einem Unternehmen wie Siemens auf einer Bühne steht, da kann man schon stolz sein, eben weil da ganz andere „Kapazunder“ dabei sind. Das zeigt, dass wir uns immer schon mit solchen Konzepten beschäftigt haben, was aber nicht heißt, dass man deshalb alles richtig gemacht hat.
 

"Mit null Euro Eigenkapital startet man heut nicht mehr."
 

imSalon: Wenn ihr zurückblickt – Was hättet ihr denn anders gemacht?
Grundsätzlich ist man hinterher an Erfahrung reicher und würde manches anders machen. Die Frage ist nur, ob man dann erfolgreicher wäre. Mit dem Wissen von heut würden wir den ein oder anderen Standort nicht mehr machen. Und wir haben unser Unternehmen mit null Euro Eigenkapital aufgebaut. Es wär besser gewesen, wenn wir welches gehabt hätten, mit null Euro Eigenkapital startet man heut nicht mehr. Und wir würden uns mehr Expertenrat einholen, sprich Unternehmensberatung, Coaching, besseres Netzwerk, um Konzepte auszuarbeiten und sich auszutauschen. Das hätte viel Energie gespart.

imSalon: 20 Jahre chaos hairconcept, anlässlich startet die style vision 2016 mit chaos & friends…
Ja, seit 12 Jahren machen wir ein Jahreskongress für unser eigenes Unternehmen und haben in den letzten Jahren begonnen, diesen immer mehr auch für befreundete Unternehmen, Seminar- und Calligraphy Cut Partner zu öffnen. Aufgrund der 20 Jahre ist es heuer natürlich umfangreicher, mit sehr starker fachlicher Ausrichtung ...
 

"Es ist eine künstlerische und kreative Art Haare zu schneiden."



imSalon: ... z.B. mit einem Calligraphy Cut Workshop. Seit 3 Jahren arbeitet ihr mit dem „Volumenwunder“. Hält er, was er verspricht? Was fasziniert euch daran?
Wir Friseure sind gern skeptisch, schließlich hat es in unserer Branche schon so einige One-Hit-Wonder gegeben. Der Callgraphy Cut ist ein begnadetes Werkzeug in Konzeption! Was begeistert, ist die Reaktion der Endverbraucher und der Modelle, obwohl man eine ganz normale Frisur schneidet. Volumen, Bewegung, natürlicher Fall der Haare sind Dinge, die den Endverbrauchern wichtig sind.
Er ist ein Stück weit eine Herausforderung, es ist eine kreative und künstlerische Art die Haare zu schneiden und, wenn man sich darauf einlässt, auch wieder ein Stück weit Inszenierung und Positionierung als Spezialist. Durch den schrägen Anschnitt hat er eine größere Oberfläche und man kann einen Bewegungsimpuls setzen. Das klingt mythisch und esoterisch, aber man kann das beim Erlernen spüren. Durch den Bewegungsimpuls kann ich das Haar in seiner Bewegung unterstützen und dadurch ist die Frisur leichter zu stylen. Das Erlebnis für den Kunden ist ein anderes.
Wir sind der Überzeugung, dass aufgrund der Registrierkassenpflicht, dem Mitarbeitermangel und anderer Tendenzen immer mehr auf der Suche nach Konzeption sind und den Möglichkeiten, mehr für die Dienstleistung zu verlangen. Und der Calligraphy Cut kann eines dieser Konzepte sein.

imSalon: Bernd, was schätzt du an Joe?
Die visionäre Art Neuheiten ohne Angst und mit Begeisterung sofort und schnell umzusetzen. Während andere noch darüber nachdenken, hat Joe schon damit begonnen.

imSalon: Joe, was schätzt du Bernd?
Er hat einfach diesen Blick fürs Detail, extreme Disziplin und Durchhaltevermögen. Dort, wo andere aufhören, fängt er erst an.

imSalon: Teilt ihr auch im Privaten Zeit und Interessen?
So wenig wie möglich. Nicht, weil wir uns nicht verstehen, sondern vielmehr weil wir wissen, dass wir beruflich so viel miteinander unterwegs sind, dass der Abstand das gute Auskommen ermöglicht. Zum anderen sind unsere Interessen und unser Freundeskreis im Privaten ganz unterschiedlich.
 

„Weiterbildung ist gute Logistik ... Beruf und Privatleben müssen im Einklang sein."



imSalon: Was glaubt ihr, wie wird sich die Seminarlandschaft in Österreich entwickeln? Wie seid ihr darauf vorbereitet?
Wir sind der Überzeugung, dass die Seminare definitiv in der Woche stattfinden werden. Zum einen, weil es der Gesetzgeber fordert, zum anderen die Mitarbeiter nur noch an Wochenenden für Ausnahmeseminare bereit sind zu arbeiten. Und wenn man den Wertewandel der Generationen mit einbezieht, dann ist es so, dass Beruf und Privatleben im Einklang sein müssen. Da werden die Unternehmer umdenken müssen! Intern handhaben wir das schon so. Viele Basisseminare sind an den Wochentagen, die Mitarbeiter nehmen wir in der Zeit aus dem Salon raus. Denn sind wir ehrlich: Die Friseurbranche hat keine 100-prozentige Auslastung. Weiterbildung ist auch gute Logistik.
 

"Rudelführer und Follower - das liegt in unseren Genen."



imSalon: Glaubt ihr, dass es irgendwann noch diese großen „Stars“ auf den Bühnen geben muss? Braucht die die Branche?
Oder braucht sie der Mensch? Vorbilder sind Vorreiter, Menschen, die einfach das Zeug dazu haben, Begeisterung hervorzurufen. Und wenn man sich mit Sozialwissenschaften beschäftigt, dann weiß man, die wird es immer geben: Rudelführer und Follower. Das liegt in unseren Genen.

imSalon: In vieler Munde: Onlineschulungen/Webinare. Was haltet ihr davon? Käme das für euch infrage?
Als Unternehmer wird man immer mehr damit konfrontiert, vor allem im Businessbereich. In der Praxis wird das schwierig werden. Keiner hat Lust den halben Tag vor einem Bildschirm zu sitzen und oft gibt es nicht die räumlichen Voraussetzungen, ungestört an einem Webinar teilnehmen zu können. Es bräuchte dafür einen Sozial- oder Schulungsraum, in dem man ungestört, während der Arbeitszeit, einsteigen könnte. Sonst müsste man das wieder abends machen, gar noch hinter der Rezeption, wo der Rechner steht.
Es wird sich natürlich etwas dahin gehend bewegen, aber ich glaube nicht, dass diese eine solche Kraft haben kann wie Face to Face Seminare. Denn wir arbeiten mit Menschen. video2hair ist z. B. ein tolles Begleitangebot, um Schnellinformationen abzuholen, aber es wird immer auch diejenigen geben, die aktive Unterstützung beim Lernen brauchen und das nicht in Eigenregie umsetzen können.
 

„Die Dienstleistung hat eine Macht, das Potential müssen wir erkennen.“



Stellt euch vor, ihr hättet einen Wunsch frei. Was würdet ihr euch für die Branche wünschen?
Joe: Ich persönlich wünsche mir mehr Optimismus, denn ohne Zukunft geht es nicht. Wir müssen mit unseren Dienstleistungspreisen und der Qualität nach oben, sonst können wir langfristig die notwendigen Gehälter nicht zahlen, um kreative Mitarbeiter zu gewinnen. Und der Wunsch, dass sich noch mehr Friseure zusammenschließen, sei es in Netzwerken, Vereinigungen oder Kastensystemen, sprich Sternkategorien. Die Dienstleistung hat eine Macht, das Potenzial müssen wir erkennen.

imSalon: Und was wäre deiner, Bernd?
Ein Aufwachen der Branche, dass wir mehr brauchen als nur EPU´s und Mobilfriseure, wieder hin zu größeren Unternehmen, die sich zusammenschließen und die Zukunft gestalten. Mitarbeiter ausbilden und entwickeln. Für mich steht die Branche schon seit Jahrzehnten am Fleck.

 

Fakten:

Geboren und aufgewachsen: Wildschönau

Seit 1996 chaos hairconcept: erster Salon in Wörgl

Seit 1998 chaos hairtraining | Friseurseminare

chaos Gruppe: 15 Salons in Österreich und Deutschland | 160 Mitarbeiter | 30 Lehrlinge

Beide sind Geschäftsführer und Gesellschafter von chaos hairconcept und chaos hairtraining


Auszeichnungen:

Jungunternehmer des Jahres 2001 für Gewerbe und Handwerk Tirol

TRIGOS Award Tirol 2005 | Österreich 2006

Familienfreundlichstes Unternehmen Tirols 2014


Wichtige Lehrstationen:

Elterlicher Betrieb & Meininghaus

Joe: Gruppa Ultima, Kadus Fachtrainer 1989-1996

Bernd: Dieter Keller (Deutschland), Preisfrisieren, Österreichischer Bundessieger, Vize Weltmeister im Team 1994,
Redken Hairdresse of the Year 1995