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25.06.2024

"Ich hoffe, dass Frisur bald wieder Frisur wird"

Kein Texas-Hair, weniger Balayage und ganz viel Föhnen … alles inmitten eines Farbneuanfangs. Andrea Hecker über Farb-, Salon- und Industrietrends und fahrende Züge, auf die wir aufspringen sollten…

Du beschäftigst dich viel mit Trends. Welche Trends findest du aktuell unterschätzt?
Andrea Hecker:
Texas, wo bist du? Keiner macht Texas-Hair, dabei ist es überall, egal welche Celeb-Partybilder du siehst, überall Big Texas Hair. Beyoncé hat da richtig was losgekickt. Nur in den Friseur-Communities wird nicht darüber gesprochen.

Was glaubst du woran das liegt?
AH:
 Ich verstehe nicht, dass sich da nicht alle draufstürzen. Das ist so ein geiler Blow-out das beste fürs Haar, denn Föhnfrisur hält viel länger. Nur durch Föhnen mit der Bürste kriegst du Energie ins Haar, alles andere nimmt Power.

Wir sind so getrieben, hast du bei deinem Vortrag gesagt. Welche Auswirkung hat das auf den Friseuralltag?
AH:
Es geht alles zack, zack, zack. Trends kommen wahnsinnig rasch, verbreiten sich rasant und dann gibt es auch noch 10 unterschiedliche Ausdrücke für ein uns dasselbe. Es ist extrem schwierig, am Puls zu bleiben. Eigentlich bräuchte man einen wöchentliches Wörterupdate.

„Wir müssen mit den Farbtipps brillieren, die Kunden nicht im Internet finden…“

Du bist ja designierte Färberin, schneidest nicht. Bleibt die Balayage oder wird es etwas Neues geben?
AH:
Die Balayage wird bleiben, nur der große Hype ist bald vorbei. Du musst jetzt wieder deine Farbkiste aufmachen. Für mich kommt der weiche Paintingstrich wieder und Freehand. Es wird auch wieder mehr uniforme Farben geben. Viele Friseure haben jetzt Angst, dann nicht mehr so viel Geld zu verdienen, wie mit Balayage. Aber das ist Quatsch, wichtig wird es die Handwerkskunst hinter richtiger Farbarbeit zu zeigen.

Dein Ratschlag dafür?
AH:
Friseure sollten ihr handwerkliches Geschick so entfalten, dass sie ihre Handschrift ins Haar hineinlegen. Das heißt nicht einfach nur Strähnen ins Haar klatschen, und es auf Teufel komm raus hell zu machen. Die Kunst ist es, sondern fokussiert auftragen und gezielt Höhen und Tiefen einarbeiten. Und natürlich unter Berücksichtigung der richtigen, individuell ausgewählten Technik für die Kundin.

Gibt es Trendunterschiede in den Altersgruppen?
AH:
Bei jüngeren geht der Trend zur 'Calico-Katze' aus den extremsten Farben und Streifen. Damit wird man sicher nicht viel Geld verdienen, aber man sollte trotzdem wissen, was es ist und wie es geht.

Was wird für Coloristinnen und Coloristen wichtig?
AH:
Das Schöne für alle Coloristen, die schon länger im Markt sind ist, dass sich jetzt endlich alles um unser Farb-Know-how dreht. Das will die Kundin sehen und vor allem auch hören, damit grenzen wir uns ab. Wir müssen mit den Farbtipps und Produkt Know-how brillieren, das man nicht im Internet findet und immer mehr wissen als die Kunden, um weiterhin als Profi wahrgenommen zu werden.

Du hast ja vor Kurzem deinen Farbanbieter gewechselt, bist jetzt bei Schwarzkopf Professional. Farbe ist deine gesamte Geschäftsgrundlage, was für ein Prozess war das?
AH:
Um ehrlich zu sein, kein einfacher, aber es hat sich gelohnt! Das Gute ist, ich habe neue Produkte kennengelernt, die auch mich noch flashen.

Zum Beispiel?
AH:
 Beispielsweise 'Lift and Blend' aus der BlondMe Reihe. Ich mache ja sehr viel Freihandarbeit und gerade Weißanteil im Konturenbereich war früher immer schwer zu färben. Mit dem Lift and Blend werden die noch farbigen Haare aufgehellt und die weißen Haare gefärbt, in einem Schritt. Für mich als alte Färberin ist das ein Highlight.

Wie viel Zeit hast du für die Umstellung gebraucht?
AH:
Am Anfang war ich erschlagen vom Produktportfolio. Aber insgesamt war das ein schleichender Prozess, der knapp drei Monate gedauert hat. AM meisten profitiert habe ich vom unglaublichen Hands-on Training mit der großartigen Viola Landsky.

Was war die größte Hürde für dich?
AH:
Das Nummernsystem neu lernen und einfach noch nicht blind färben zu können. Aber die Herausforderung hat mir gutgetan.

Dein Lieblingsprodukt?
AH:
Oh weh, also was ich echt verkannt habe und was mir momentan irre gut gefällt ist ‚tbh‘. Die Töne, die 'tbh' färbt, sind unglaublich natürlich. Die Ergebnisse sind rougher und das brauche ich, denn ich setze immer auch Strähnchen in Längen und Spitzen und arbeite dann mit einem Glossing für den Glanz. Das sieht so unglaublich geil aus.

"Meine Kundinnen wollen Botox fürs Haar"

Was wollen deine Kundinnen?
AH:
Botox fürs Haar! Haar soll schlichtweg jünger ausschauen und dafür ist eine Farbe wie 'tbh' phänomenal.

Sprichst du mit Kunden über die Umstellung?
AH:
Eher nicht, ich hab‘ einfach immer gesagt, dass ich etwas noch besseres habe.

"Alles, was Salons auf Instagram präsentieren, sieht gleich aus."

Welche Entwicklung im Markt findest du bedenklich?
AH:
Friseure haben sich Fachkompetenz abnehmen lassen und demonstrieren Langeweile. Die inflatorische Fotografie von Hinterköpfen in den letzten Jahren hat da viel zu beigetragen. Alles, was Salons auf Instagram präsentieren, sieht gleich aus. Wir müssen als Handwerk endlich wieder Kernkompetenz und Wissen darstellen.

"Wir sollten mehr Zwischenschritte zeigen und Endverbrauchern demonstrieren, wie schwierig manche Haararbeit ist."

Was schlägst du vor, wie dieses Wissen zeigen?
AH
: Na zum Beispiel auch mal Zwischenschritte zeigen und demonstrieren, wie schwierig manche Haararbeit ist. Damit können wir auch dem Endverbraucher Paroli bieten, denn letztendlich müssen wir mit dem Arbeiten, was Kunde uns in den Salon bringt.

Was wird vernachlässigt?
AH:
Ich bin viel auf TikTok, da geht gerade bei Big Hair die Post ab. Junge Leute wollen volles Haar haben. Da wird plötzlich das Thema Ernährung spannend, denn die wollen das möglichst natürlich erreichen, also ohne Extensions. Friseure sollten in alles, was die Kopfhaut belebt und den Haarwuchs fördert, investieren. Mit Nischen und Spezialisierung kann man gut Geld verdienen.

Und was wünschst du dir fürs Friseurhandwerk?
AH:
Ich hoffe, dass Frisur wieder Frisur wird, und dann wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Ich bin auch überzeugt, dass es in der Zukunft wieder riesige Friseursalons geben wird, aber mit anderen Konzepten. Und es wird mehr Co-Working-Spaces geben, Friseure werden mal in Berlin, mal in London arbeiten, wo auch immer.

Und die Industrie?
AH:
Die Industrie ist gefordert. Friseure werden in Zukunft nicht alles brauchen und wollen nicht mit der Gießkanne übergossen werden, sondern gezielt Produkte aussuchen und so wie bei Hello Fresh, quasi Bundles, individuell zusammenstellen. Was ich aktuell bei Schwarzkopf erlebe, ist Female Empowerment, da passiert richtig viel, mega innovativ, enorme Empathie und Wertschätzung. Damit fühle ich mich für die Zukunft richtig gut aufgehoben.

Danke Andrea und für die Zukunft wünsche ich dir weiterhin viel Erfolg und