Eva-Maria Schärfl hat Vorschläge, wie Ausbildung neu gedacht werden könnte. | C: Mit freundlicher Genehmigung von Goldwell Österreich

10.04.2021

Eva-Maria Schärfl: Lehrlinge werden komplett vergessen

Die Pandemie multipliziert die Probleme der Lehrausbildung, dabei liegen diese zum Teil in der Berufsschule, der Ausstattung und Schwerfälligkeit des Systems…

Im Telefoninterview mit Katja Ottiger


Wie viele Lehrlinge bildet ihr derzeit aus?
Eva-Maria Schärfl:
Wir haben aktuell zwei Lehrlinge im 1. bzw. 3. Lehrjahr, beide sind Syrer. Letzterer müsste jetzt eigentlich zur Prüfung antreten, aber die Modelle sagen ab, denn sie müssten bei jedem Training getestet sein. Bei uns in Tirol sind heuer von sieben Prüflingen nur drei bei einer der Prüfungen angetreten, weil die Modelle fehlen. Da muss ich fragen: Warum wird nicht darüber nachgedacht, bei den Prüfungen auf Trainingsköpfe umzusteigen?

„Mich entsetzt, dass Lehrlinge komplett vergessen werden.“

Da sind wir gleich im Thema drin…
EMS:
Mich entsetzt es, dass Lehrlinge komplett vergessen werden. In den Medien hört man immer von Mittelschülern, Maturanten, Studenten, Kleinkindern… Keiner redet darüber, dass Lehrlinge in Theorie und Praxis viel zu wenig mitbekommen. Das ist eine Generation, der ganz viel fehlt. Die Lehrer versuchen ihr Bestes, denen gebe ich nicht die Schuld, die müssen irgendwie durchpeitschen, was der Plan vorgibt - ob sinnvoll oder nicht.

Worin siehst du die größten Probleme mit dem Distance Learning?
EMS:
Distance Learning im 1. Lehrjahr ist ein Wahnsinn, das schafft ein schwacher Schüler kaum, einer mit Migrationshintergrund schon gar nicht. Sie haben Probleme mit dem Verstehen der Fremdwörter und niemanden, der es ihnen erklärt. Hinzu kommt, dass es in den Fachbüchern kompliziert beschrieben wird.

Was sind für dich die größten Herausforderungen als Lehrausbilderin?
EMS:
Im Moment ist es sehr zeitaufwendig: Ich lerne jeden Tag mit den Beiden, bin nebenbei also Lehrerin. Für die Theorie braucht es Geduld, wegen der Sprachprobleme muss ich einfache Worte finden. Die Praxis ist herausfordernd, weil wir nur auf Trainingsköpfen arbeiten, da wir keine Modelle haben; färben, schneiden, föhnen – das ist nicht das gleiche.

Was könnte deinen Lehrlingen mit Migrationshintergrund helfen?
EMS:
Wenn es jemanden gäbe, der ihnen Sachen übersetzen bzw. in ihrer Sprache erklären könnte. Oder sie benötigen einfach mehr Deutschkurse, was Sache des Bildungsministeriums wäre.

Haben deine Lehrlinge entsprechend Equipment im Distance Learning?
EMS:
Ja, aber nur, weil wir es ihnen geben und sie auch alles mit nach Hause nehmen können.

„Ich erwarte mir, dass ein praktischer Berufsschullehrer wirklich gut praktisch arbeitet

Was erwartest du dir von den Schulen?
EMS:
Generell? Dass ein praktischer Berufsschullehrer praktisch wirklich gut arbeitet, er sollte so gut sein, dass er jederzeit in einem Salon stehen könnte. Ich vermisse das Fachwissen zu den Produkten. Mir ist bewusst, dass ein Lehrer nicht alle Produkte kennen kann, aber Innovatives, wie Elumen oder Olaplex beispielsweise sollten er erklären können. Handwerk ist schnelllebig, das erfordert Weiterbildung und das Besuchen von Seminaren. Wenn man die Lehre hinaufheben möchte, muss die Schule in der Lehrausbildung besser werden.

Da spricht die Trainerin aus dir?
EMS:
Die Frage ist, was bringt uns wirklich weiter? Das Fokussieren auf die wichtigen Dinge! Ein Beispiel: Im 1. Lehrjahr lernen sie Maniküre bis zum Erbrechen - das macht doch keiner mehr im Salon! Es gehört umstrukturiert: Haut und Haar müssen wirklich verständlich durchgemacht werden, die Dauerwelle sollte man lernen, das ist Handwerk. Aber es wäre interessanter, die Haarfarbe mehr auszubauen, denn die ist einer der Umsatzträger Nr. 1 im Salon.

Wenn du könntest – was würdest du in der Ausbildung ändern?
EMS:
Ich wäre für eine Art „Zwischenstufe“ nach Bestehen der praktischen Prüfung. Es gibt derzeit keine Möglichkeit, die Praxisprüfung zu machen, wenn man die Theorie nicht bestanden hat. Es muss auch eine praktische Prüfung geben mit Fachkunde, aber eben ohne sonstige Theorie, damit auch Schwächere die Möglichkeit eines Abschlusses haben. Langfristig werden wir immer mehr Lehrlinge mit Sprachdefiziten haben - mit guter Praxis, aber schlechter Theorie. Die brauchen die Aussicht, in den Beruf zu starten. Sie machen die Praxisprüfung und den Gesellen später, würden aber unserer Branche nicht verloren gehen und den Beruf wechseln, um dann nur noch im Pfusch Haare zu schneiden. Dieses System könnte man in den Kollektivverträgen verankern. Damit hätten wir auch die Chance, in der Ausbildung inhaltlich strenger zu werden und das Niveau der Lehre zu heben, anstatt immer weniger von den Lehrlingen zu verlangen.

„Wenn unsere Hände eine Leber hätten, dann wären die schon Alkoholiker!“

Was verlangst du von der Politik?
EMS:
Erstens, auf Lehrlinge zu schauen! Die sind unsere wirtschaftliche Zukunft und nicht nur die des Handwerks! Zweitens, dass wir körpernahen Dienstleister ernst genommen werden. Nicht nur, wenn wir Neues probieren sollen - da sind wir mittlerweile Heroes! Wir desinfizieren uns zu Tode. Wenn unsere Hände eine Leber hätten, dann wären die schon Alkoholiker. Wenn es so weiter geht, arbeiten wir im Operationsanzug bei 30 Grad, während alle anderen längst keine Masken mehr tragen.

Ich bin mir auch sicher, dass der Handel keine Zutrittstests bekommen wird, der braucht nur „Amazon“ zu schreien und schon ist das Thema erledigt.

„Als arbeitslose Friseurin in Österreich kommt man scheinbar gut durch mit Pfusch.“

Apropos: Wie läufts mit den Testungen in Tirol?
EMS:
Problemlos, in Tirol kannst du überall testen, in den Einkaufszentren, sogar bei Tierärzten. Die meisten unserer Kunden sind Stammkunden, das funktioniert gut. Problematisch ist der Pfusch, Angestellte findest du keine. Scheinbar kommt man in Österreich als arbeitslose Friseurin gut durch mit Pfusch. Dass das mit den Heimbesuchen anfangs nicht geklärt war und im zweiten und dritten Lockdown wieder nicht, grenzt an Dilettantismus in den Ministerien oder zeigt wieder nur, wie wenig wichtig wir sind.

Schuld auf Seiten der Politik?
EMS:
Der Innung gebe ich da keine Schuld. Was machen wir denn schon aus beim BIP? Jahrzehntelang wurde nichts für Friseure getan. Wir sind wichtig, wenn wir nicht da sind, aber sind wir geöffnet, werden wir vergessen. Die Pandemie zeigt die Schwächen auf und es wäre jetzt an der Zeit, darüber zu reden. Unser duales Ausbildungssystem ist super, hat aber Schwächen.

Wir gehören zum täglichen Leben und sollten die 10 Prozent Mehrwertsteuer bekommen! Wir können das Leben von Menschen für mehrere Wochen ruinieren oder auch darüber hinaus, aber wir können ihnen auch das Selbstbewusstsein und Wohlbefinden stärken. Wir haben einen großen Nutzen bei der psychischen Gesundheit und sind wichtige Ausbilder. Wir müssen weg von dem, dass wir nichts wert sind.

Was macht dir Sorgen?
EMS:
Dass ich immer mehr bemerke und von Kollegen höre, dass wir Friseure mehr und mehr demotiviert sind. Das, was unseren Beruf ausmacht, das Kreative, das Soziale kommt alles zu kurz. Wir haben entweder viel zu viel zu tun oder zu wenig. Das Auf und Ab nervt.

Blick in die Zukunft: Wir haben die Pandemie hinter uns - wie siehst du den Lehrlingsmarkt in den nächsten Jahren?
EMS:
Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber da sehe ich mehr Friseure mit Migrationshintergrund als österreichische Friseure. Die sind extrem bemüht, pünktlich, freundlich, hilfsbereit, fleißig, hochkonzentriert, respektvoll und haben Anstand. Sie brauchen unsere Unterstützung, sie beweisen aber auch, dass es geht.

Über Eva-Maria Schärfl:

  • Peter´s Hairstyling Inzing, Tirol
  • Lehrausbilderin im Familienbetrieb
  • Trainerin für Goldwell
  • Mehrfach Gewinnerin Goldwell Color Zoom / National