Credit: Eva Kahrmann privat

24.06.2022

Eva Kahrmann: Eine blöde Bemerkung kann den Kunden für immer vertreiben!

Eva Kahrmann ist Friseurin in Brakel/Deutschland und twittert regelmäßig über den Salonalltag, wo sie einen anderen, sensiblen Umgang mit Kunden lebt. Ein spannendes Gespräch über Angst vorm Friseur, Vorwürfe von Kollegen und die „unsichtbare Zielgruppe“: Wie man trotz Fachwissen auf Augenhöhe kommuniziert und damit Unwohlsein reduzieren kann.

Das Interview führte Katriina Janhunen

imSalon: Eva, du hast auf Twitter über einen eigenen Raum geschrieben, für Kunden  die beim Friseur Ängste oder Scham haben. Darauf gab es sehr viele emotionale Reaktionen über negative Erlebnisse im Salon. Hast du damit gerechnet?
Eva Kahrmann:
Nein, gar nicht. Es wurden viele sehr unterschiedliche Gründe genannt, warum wer nicht zum Friseur geht oder wofür man sich schämt. z.B. weil viele Leute von Friseuren richtig kleingemacht wurden. 

Was meinst du mit "kleingemacht"?
EK:
Das Mädchen, um das es in meinem Tweet ging, hatte Angst vor Vorwürfen, weil sie so verfilzte Haare hatte. So etwas darf nicht passieren! Ich kann als Friseurin meinen Kunden keine Vorwürfe machen. Damit stellt man sich nur über ihn, statt auf Augenhöhe zu kommunizieren. 

„Du entscheidest, was du mit deinem Kopf machst, nicht ich!“

Auf Twitter gab es viele Friseur-Kund*innen, die Angst hatten, sich rechtfertigen zu müssen…
EK:
Die Kunden entschuldigen sich oft, z.B. wenn sie selber den Pony geschnitten haben. Ich denke: "Das ist dein Kopf – du entscheidest, was du damit machst. Selbst wenn du deine Haare mit Salatsauce wäschst, ist das deine Entscheidung." Die Kundin bringt die IST-Situation mit - wie diese entstanden ist, ist für die Qualität meiner Arbeit völlig unerheblich. 

Welcher Kommentar hat dich am meisten berührt?
EK:
Eine Frau ist mir Gedächtnis geblieben, die seit 20 Jahren nicht mehr beim Friseur war, weil sie von der Friseurin niedergemacht wurde, dass sie so splissige Haare habe und sich nicht um sich selbst kümmere. Warum hat sie nicht das Positive verstärkt: „Wir kriegen das gemeinsam hin!“ Eine blöde Bemerkung kann eine Kundin für immer vertreiben. Wir geben dem Kunden ein Gefühl mit und wir können entscheiden, ob es ein gutes oder ein schlechtes Gefühl ist. 

Du nennst die Kunden mit Ängsten „unsichtbare Zielgruppe“ . Was meinst du damit?
EK:
Es kann im Grunde jeder sein. Man kennt die Erfahrungen nicht, die jemand gemacht hat und Ängste können unterschiedlichste Gründe haben: Psychische Krankheiten, Kopfhautprobleme, Haarausfall. Auch Transgender ist ein Thema und die Angst sich öffentlich zu präsentieren. 

Wieso ist Transgender ein Thema beim Friseur?
EK: Es ist für diese Kunden ein Riesenschritt, neben dem Outing, sich optisch zu wandeln. Haare sind in der Hinsicht oft der erste machbare Schritt. Aber jemanden, der vom Körper und Gesicht männlich gelesen wird, zu einer weichwelligen Langhaarfrisur zu verhelfen - oder einer zarten, weiblichen Gestalt den Clipper anzusetzen - das erfordert Vertrauen und Verständnis.

Welche unsichtbaren Zielgruppen gibt es noch?
EK:
 z.B. Armutsbetroffenheit führt dazu, dass Kunden häufig wechseln oder selten zum Friseur gehen. Viele trauen sich nicht nein sagen und fühlen sich verpflichtet etwas zu kaufen, das sie sich gar nicht leisten können. Ich kläre zuerst ab, ob jemand überhaupt zu Produkten beraten werden möchte. Wenn der Kunde sich sicher sein kann, dass ihm nichts aufgeschwatzt wird, muss er keine Angst vor unangenehmen Situationen haben. Mit etwas Fingerspitzengefühl fühlen sich alle ernstgenommen. Das fängt ja schon damit an, dass ich Fragen kann, ob jemand am Fenster sitzen möchte. 

Wie könnte man der unsichtbaren Zielgruppe entgegenkommen?
EK:
Es wäre schön, wenn man Termine per Mail ausmachen könnte, weil z.B. mit Depressionen ist es sehr schwer zu telefonieren und Termine zu vereinbaren. Man könnte eine Möglichkeit schaffen, vor dem Termin Probleme zu thematisieren.

Ist man als Friseurin auch immer ein wenig Psychologin?
EK:
Ich kann nicht für alle Kunden herausfinden, was sie stört oder beeinträchtigt. Ich möchte auch niemanden therapieren oder wie ein rohes Ei behandeln. Als Friseurin will ich nur nicht verstärken, dass der Kunde sich unwohl fühlt. 

Wo könnte man ansetzen, um deine Kollegen zu sensibilisieren?
EK: Wenn ich an meine Ausbildung zurückdenke, war sie immer sehr darauf ausgerichtet, dass ICH sage, was für den Kunden gut ist. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Wir müssen sensibler werden, denn der Kunde und sein Gefühl müssen in den Mittelpunkt. Das Endergebnis muss mir nicht gefallen, sondern der Kunde muss glücklich sein, wenn er rausgeht und sich wohlfühlen. Egal, wie er aussieht. 

Vielen Dank, Eva, für deinen Input und die Sensibilisierung für das Thema!