Credit: Josua Piorr

27.01.2022

Daniela Mezzapesa: Inflation ist kein Feeling, sondern Realität

Preise müssen fair sein, deswegen wird erhöht, gestaffelt und gleichzeitig MitarbeiterInnen motiviert. Aus der Krise kommt man nur mit klarem Kopf, darf aber nicht vergessen, dass auch ChefInnen nur Menschen sind, weiß Daniela Mezzapesa …

Im Gespräch mit Birgit Senger
 

Daniela, was ist dein Resümee zwei Jahre nach der ersten Corona Meldung?
Daniela Mezzapesa: Nun, zuerst einmal würde ich sagen: Es gibt uns noch, allein das ist schon ein Erfolg. Einige haben es ja leider nicht geschafft.

„Ich habe keine Kapazität mehr für Energie- und Geldverschwendung (…) als Chefin bin ich auch nur ein Mensch.“

Was hat euch in dieser Zeit geholfen?
DM: Klarheit und ein positives Umfeld. Wir haben im Salon alles auf das Wesentliche reduziert, Prozesse vereinfacht, die Basis optimiert. In einer so schweren Zeit ist es umso wichtiger, diese mit Menschen zu verbringen, die einem positive Vibes geben, die zuverlässig sind und mit denen man an einem Strang zieht - ob es die KollegeInnen sind oder Menschen im Background, wie mein Steuerberater. In diesen Zeiten wissen wir jede helfende Hand zu schätzen. Ich habe für mich festgestellt: So kann man alles schaffen.

„In einer Krise steckt auch viel Entwicklung - für das Unternehmen und für jeden persönlich.“

In der Krise hat es mir geholfen, mich zu reflektieren und mir darüber klar zu werden, was ich von den Menschen um mich herum erwarte und wie ich lerne, das so unmissverständlich wie möglich zu kommunizieren. Es ist unfassbar wertvoll, bei sich zu sein und sich Gutes zu tun. Das gibt mir persönlich am meisten Kraft und Halt.

Ich habe dich vor fünf Jahren kennengelernt. Was hat sich seit unserem ►letzten Interview verändert? 
DM: Natürlich hat sich einiges verändert oder anders entwickelt als ursprünglich geplant. In unserem ►Salon in Berlin-Mitte wollten wir, wie man es aus UK oder USA kennt, MitarbeiterInnen auf Farbe oder Schnitt spezialisiert arbeiten lassen. Das hat sich nicht bewährt, wir waren nicht groß genug aufgestellt. Mal hatten wir genug Personal zum Schneiden, dann fehlte uns Personal zum Färben. Das immer wieder auszubalancieren, hat sich zu einem Kraftakt entwickelt. Irgendwann haben wir entschieden „Back to Basics“! Für uns ist das einfacher und realistischer. Manchmal muss man auch mal seine Pläne aus dem Fenster werfen können und umdenken.

„Master- und Juniorstylist ins richtige Verhältnis zu setzen, spiegelt den Respekt vor dem Beruf wider.“

Ihr habt gestaffelte Preise von Junior bis Master Stylist. Hat sich das bewährt?
DM: Definitiv ja. Für uns hat das nur Vorteile. Die Ansprüche und Erwartungen sind für den Kunden bereits vorher klar. Habe ich hohe Ansprüche, schwierige Haare, eine misslungene Farbe, spricht das für den Master, für den man mehr Geld in die Hand nehmen muss. Bin ich der Meinung, meine Wünsche sind leicht umzusetzen, oder mein Budget ist eher schmal, dann spricht mich der Junior Stylist an. Ein Master hat zig Tausend Euro in Weiterbildung und Meisterprüfung investiert, jahrelange Berufserfahrung und eine große Expertise. Das muss anders entlohnt werden, als bei BerufsanfängerInnnen. Master und Junior ins Verhältnis zu setzen, spiegelt meiner Meinung nach auch den Respekt vor dem Beruf wider.

„Dank Preisstaffelung kann ich meinen MitarbeiterInnen gute Aufstiegschancen bieten.“

Eure Gehälter werden nicht verhandelt, sondern sind nach Qualifikation gestaffelt?
DM: Ja, so habe ich mehr Spielraum, MitarbeiterInnen zu motivieren und der Qualifikation(en) entsprechend zu entlohnen. Wenn alle dasselbe kriegen, egal ob sie dazulernen oder nicht, warum sollten sie dann Gas geben oder sich weiterentwickeln? Dank der Preisstaffelung kann ich meinen MitarbeiterInnen Aufstiegschancen bieten und ihnen somit längerfristig Perspektiven schaffen.

Neue MitarbeiterInnen einstellen - wie läuft das bei euch ab?
DM: Wir haben für jede Stylisten-Kategorie einen definierten Anspruch. Wir stellen interessierten KollegInnen die Kategorien vor, machen einen Probetag und schauen uns an, in welche Kategorie wir die Leistung einstufen würden. Wenn jemand den Aufstieg in die nächsthöhere Kategorie anstrebt, überlegen wir uns gemeinsam, welche Fortbildungen wir anbieten können, um das persönliche Ziel zu erreichen.

Dein Rat für alle, die auf dieses Konzept umstellen möchten?
DM: Einfach machen! Den Spruch: „Das machen meine Kunden nicht mit“ hört man leider viel zu oft. Klar, jeder hat Angst Kunden zu verlieren. Und ja, es gibt diese drei Dinge, die unserer Branche Respekt einflössen: die jährliche Preiserhöhung, Männer und Frauen gleich abzurechnen und die Preisstaffelung.

Du möchtest trotzdem andere dazu ermuntern?
DM: Sobald Du am Konzept etwas veränderst, bleiben natürlich Kunden weg. Es entsteht aber kein Loch, denn mit anderer Preisgestaltung ziehst du automatisch andere Kunden an. Ein erfahrener Friseur sollte seinen Wert kennen, darf dazu stehen und entsprechend entlohnt werden. Wir wollen doch alle KundInnen in unseren Salons haben, die sich wünschen, dass die MitarbeiterInnen fair bezahlt werden, oder?

„Eine Preisgestaltung nach Geschlecht ist im Jahr 2022, besonders in einer Stadt wie Berlin, veraltet und nicht tolerierbar.“

Ihr habt Unisex-Preise?
DM: Es gibt kurze, lange, dicke, dünne, lockige und glatte Haare - das Geschlecht spielt bei uns im Salon bei der Preisgestaltung keine Rolle. Jeder Mensch sitzt bei uns für einen Haarschnitt ca. eine Stunde auf dem Stuhl, bekommt den gleichen Service und das gleiche Ambiente. 

Dass Haarschnitte für Männer meist weniger kosten als für die Frau, darüber sind viele FriseurInnen unglücklich. Aus Angst Kunden zu verlieren, redet man sich diese Ungerechtigkeit lieber schön: Bei Männern brauche ich 10 Minuten weniger und nicht so viel Produkt… Eine Preisgestaltung nach Geschlecht ist meiner Meinung nach im Jahr 2022, besonders in einer Stadt wie Berlin, veraltet und nicht tolerierbar.

Was kostet bei euch ein Kinderhaarschnitt?
DM: Egal ob jung oder alt, Frau, Mann, Kind - wir haben irgendwann beschlossen: Ein Preis für Alle. Für einen guten Haarschnitt beim Kind brauche ich auch nicht weniger Zeit als bei einem Erwachsenen. Hinzu kommt, dass es anstrengender anspruchsvoller oder schwieriger sein kann, wenn ein Kind unruhig ist und die Verletzungsgefahr höher. Dafür einen Bruchteil dessen zu nehmen, was ich sonst bekomme, ist nicht richtig.

„Inflation ist kein Feeling, sondern Realität.“

Werdet ihr 2022 die Preise erhöhen?
DM: Die jährliche Preiserhöhung, um die Inflation auszugleichen, haben wir gerade umgesetzt. Inflationsausgleich ist auch so ein Ding, was gern ignoriert wird. Wenn Miete, Energie und Ware teurer werden, kann ich doch nicht gleichzeitig auch meine Preise halten. Das hat auch nichts damit zu tun, wie ich das finde. „Ich kann meinen KundInnen keine Preiserhöhung zumuten“, ist ein Feeling. Die Inflation ist aber kein Feeling, sondern real.

Was sind eure Ziele für 2022?
DM: Im Großen und Ganzen hat uns das letzte Jahr gezeigt, dass wir gut aufgestellt sind. Der Januar ist der Monat der Mitarbeitergespräche. Da legen wir ganz individuell die Ziele und Kurse für jeden Einzelnen fest. Da sich die Anfrage an Shootings im letzten Jahr erhöht hat, planen wir mehr interne Workshops zum Thema Make-up und Styling speziell auch für Shootings. Wir möchten uns weiter entwickeln, unseren Ansprüchen gerecht werden und ganz wichtig: die Freude an unserer Arbeit nicht verlieren!

Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche euch ein bereicherndes Jahr!
 

Über Bordel! Friseur Berlin:

  • Since 2007
  • Inhaberinnen: Daniela Mezzapesa & Simone Greve 

2 Salons:

  • Berlin Schöneberg (110 qm)
  • Berlin Mitte (170 qm)
  • MitarbeiterInnen: 10 FriseurInnen 3 Azubis