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12.08.2024

Alles ist politisch – auch das Haar

Die Politik wird wilder und die Frisur die einst Ausdruck für politische Zugehörigkeit war, wird immer ruhiger. Elisabetta Giannattasio überlegt, warum wollen alle gleich aussehen?

Kolumne von Elisabetta Giannattasio

Haarpolitik

Damals, als ich noch jung war; also quasi vorgestern, da nutzte man noch sein Haupthaar; um so einiges zum Ausdruck zu bringen. Ob Gruppenzugehörigkeit oder Musikgeschmack - für alles gab's die passende Frisur. Meine Frisur beispielsweise, die aus heutiger Sicht unter dem dehnbaren Begriff der Kunst betrachtet werden könnte, war ein Zeichen der unbändigen Rebellion gegen alles und jeden, nämlich der in Form gebrachte Wille, anders auszusehen.

Balayage so weit das Auge reicht

Nun schreiben wir das Jahr 2024 und entwickeln uns zu einem von Vielfalt geprägten und toleranten Land. Die haarige Subkultur, unsere aktuelle Jugend, zeigt hingegen Folgendes:

7:30 Uhr an den Bushaltestellen der Nation, Castingshow für eine klar definierte Rolle im Theater des Lebens. Balayage so weit das Auge reicht: Lange blonde Haare, die da enden, wo der Hosenbund beginnt. Von der Rückseite nicht zu unterscheiden.

Genau das ist aber völlig konträr zu allem, was sich gerade in unserer Gesellschaft ereignet. Da frage ich mich, warum ist das so …

Alles ist politisch

Kürzlich im Dialog mit einem Freund:

Ich: „Ich möchte nicht, dass eine von mir organisierte Veranstaltung politisch ist.“
Freund: „Schon die Idee, nicht politisch Flagge zu zeigen, zeigt, dass es politisch gedacht ist.“

Fazit: Alles ist politisch.

Wenn dem also so ist, dann möchte ich wissen, was genau die "facegeframten Haare" uns zu sagen haben?

Hier die Möglichkeiten, die mir in den Sinn kommen:

1. Eine Gegenbewegung in einer Gesellschaft, die vor Egozentrik und Einzigartigkeit vergisst, dass der Mensch kein Einzelgänger ist?

2. Was einst ein Ausprobieren war, einen zugegebenermaßen oft entstellte, ist heute nicht mehr nötig, da die jungen Erwachsenen schon genau wissen müssen, wer sie sind.

3.  Ein gewolltes Abtauchen in der Menge, um dem Fokus der Fürsorglichkeit zu entkommen.

4. Ein Kräftemessen an unerreichbaren Idealen, was ein schmerzhafter Weg ist, um zu lernen, dass Akzeptanz nur aus der eigenen Persönlichkeit heraus entstehen kann.

Wie auch immer, in der Rückschau werden wir es verstehen und bis dahin erfreue ich mich an all den Fotos meiner haar-eigenen Exzesse, die mich dazu gebracht haben zu verstehen, dass auch meine aktuelle Frisur aus der Zukunft betrachtet davon betroffen sein wird.

Möge es später allen so gehen!