Alexander Becker in all seinen Facetten, als Haar-Stylist und weibliches Model | Credit: vlnr.: Herbert Allagier | Amici Stgt | Monika Förster

16.02.2023

Alexander Becker: Ich unterstütze Transfrauen dabei, ihre feminine Seite zu finden

Vom Friseur-Praktikant, zum Educator, vom weiblichen Model zum Make-up Artist, hin zum Begleiter von Identitäts-Suchenden. Alexander Becker über sein Buch „Polyester Queen“, wie den Jungen das Handwerk schmackhafter gemacht werden kann und was hinter seinem zukünftigen „i-Phone der Beauty-Industrie“ steckt …

Lieber Alexander, du bist seit über 40 Jahren Haarstylist und Visagist. Wo hast du deine Ausbildung gemacht?
AB: Mit 6 Jahren wusste ich bereits, dass ich Friseur werden wollte. Mit 12 machte ich bei Breuninger in Stuttgart ein Praktikum, ein riesiger Salon mit 154 Mitarbeiter*innen. Nach einer Woche Haare kehren und Tassen tragen, durfte ich am letzten Tag Haare waschen.  Die Kundin meinte: „Aus Ihnen wird einmal was!“. Ab dann verdiente ich mir in den Ferien in diesem Salon Taschengeld dazu. Als ich alt genug war, folgte dort auch meine Ausbildung.

Wie kam es dann, dass du trotz dieser großartigen Zeit, nicht übernommen wurdest?
AB: Im Normalfall blieben Azubis nach der Lehre im Salon, aber mein Chef hat damals gemeint, dass ich anders sei und es gut wäre, herauszukommen, um aus meinem Potenzial alles herauszuholen. Ich landete bei Kertu und war dann nicht nur in Salons für Schulungen, sondern auch bei vielen Shows. So kam ich zum Modeln …

Du warst aber nicht als männliches Model auf dem Laufsteg, sondern als Frau …
AB:
Ja, ich kam wirklich sehr unschuldig zu dieser neuen Herausforderung: Es fehlte ein passendes Langhaar-Model bei einer Show. Ich war 18, hatte eine androgyne Figur und lange Haare - kein "Stachelbeer-Look", wie ihn damals Jungs und Mädchen trugen (lacht) – damals eine genderneutrale Frisur.  
Das war eine kleine Revolution – ein Mann als Frau auf dem Laufsteg. Dadurch wurde ich in meiner Heimat zum regionalen „Star“. Designer fragten mich an und es kamen immer mehr Aufträge. Dadurch lernte ich Haare und Make-up an mir umzusetzen. So führte eins zum anderen: Durch die vielen Modeljobs kam ich in die Studios und dort wurden oft Hair- und Make-up Artists gesucht – für mich ein perfekter Job, der mich in die Selbstständigkeit führte.

Thema Selbstdarstellung: Wie wolltest du vor 40 Jahren, als du als Model gearbeitet hast, wahrgenommen werden?
AB:
Es war auch für mich ein Schritt raus aus der Komfortzone. Ich bin ein Mann und ich wollte kein Transvestit sein, aber mit meinen Haaren und meiner Figur kam ich irre gut an.

"Heute bediene ich Transfrauen, die in ihren Vierzigern Frauen werden wollen. Ich unterstütze auf dem Weg, die feminine Seite zu finden."

Wie hat sich, deiner Meinung nach, die Gesellschaft in den 40 Jahren verändert? War die Fashion- & Hair Branche schon immer offen mit Geschlechteridentitäten zu spielen oder gab es Vorurteile?
AB:
Ich hatte großes Glück und habe nie negative Erfahrungen gemacht. Ich outete mich als schwuler Mann in den 80ern, da war das Experimentieren sehr frei – du konntest alles sein: Punk, Pop, Blumenmädchen, … Ich war mit Minirock, Bergstiefeln, zig Ketten und gestylten langen Haaren unterwegs und die modeaffinen fanden meinen Look total cool!
Heute bediene ich Transfrauen, die in ihren Vierzigern Frauen werden wollen. Ich unterstütze auf dem Weg, die feminine Seite zu finden. Für mich war das in jungen Jahren sehr einfach, aber ein Mann, der 1,92m groß ist, Schuhgröße 47 und sehr breite Schultern hat, tut sich schwer. Es ist ein Geschenk der heutigen Gesellschaft: Jeder kann sein, wer man möchte. Unsere Branche sollte die sein, die sich genau um diese Personen kümmert, um sie auf diesem Weg zu begleiten. Der Friseur-Beruf ist sehr vielseitig. Wir sind Dienstleister*in, Wegbegleiter*in, Gesprächstherapeut*in, …

Welche Botschaft willst du jungen Leute mitgeben, die das Interesse haben, so wie du, sich voll und ganz als Haarstylist und mit sämtlichen Talenten, die vorhanden sind, zu entfalten?
AB:
Man spricht immer nur vom Beruf „Friseur“. Wir haben aber so viel mehr Möglichkeiten, aus dieser Profession herauszuholen: Dozent*in, Berufsschullehrer*in, Schulungsleiter*in, etc. Ich finde, es braucht eine Darstellung, die sichtbar macht, wie weit der Beruf Friseur reichen kann. Es ist schwer, Hairstylist*in zu werden, ohne das Gesamtkonzept „Haar“ zu verstehen. Ich habe schon viele erlebt, die keinen klassischen, schönen Pferdeschwanz binden konnten.

Wie geht es mit dem vielfältigen Alexander Becker in Zukunft weiter?
AB:
Neben meiner Geschichte, die ich jetzt für mein Buch „Polyester Queen“ zusammengetragen habe, arbeite ich an der Umsetzung eines neuen Beauty-Tools. Ich möchte das i-Phone der Kosmetikindustrie auf den Markt bringen: Wie bei einer elektrischen Zahnbürste, steckst du deine Kartusche darauf und sprühst das Make-up auf die Haut – ohne Schwämmchen, ohne Pinsel – hygienischer und einfach perfekt, vor allem fürs reale, aber auch das digitale "bessere" Aussehen.

Dann alles Gute für die Zukunft und vielen Dank für das spannende Gespräch!